Mittwoch, 11. März 2020
I keep running out of distractions and I keep running into your friends
27. Februar 2020

An diesem Tag hatte ich keine Lust auf Menschen. Mir ging es nach wie vor nicht gut, Schwindel überkam mich immer wieder, ich schlief lang und fast komatös. Tal hatte mich am Dienstag zu ihrer Abschiedsparty eingeladen und ich hatte zugesagt. Deshalb duschte ich, trug Make-up auf und fuhr in die Bar in der Nähe meiner Wohnung. Fredrik, Ophélie, Guillemero, Tal und noch zwei andere, die ich nicht kannte, waren schon da. Es war richtig schön. Wir hatten tolle Gespräche und viel zu lachen. Wieder fühlte ich mich so, als wäre das genau das Studentenleben, nachdem ich sechs Semester lang gesucht habe.
Tals Flug ging früh morgens, weshalb sie sich schon bald verabschieden musste. Wir kannten uns nicht genug, um super eng zu sein, aber sie ist einer der coolsten Menschen, die ich jemals kennenlernen durfte. Sie strotzt vor Selbstliebe. Sie ist mühelos cool, witzig und sie versucht es nicht mal. Sie versucht nicht durch ein charmantes Lächeln und kokette Bewegungen die Aufmerksamkeit der männlichen Spezies zu erlangen. Sie ist einfach sie selbst, mühelos, und das iat magnetischer als alles andere.
Es war schon emotional, sie zu verabschieden. Ich kann auch keine anderen Leute, die ich mag, weinen sehen, ohne dass ich auch anfange zu weinen. Ich versuchte mich zusammenzureißen, aber als allen hier und dort ein paar Tränen runter liefen, konnte auch ich die Tränen nicht mehr weg blinzeln. Wir umarmten uns alle ganz fest und schlossen uns in eine Gruppenumarmung. Wir bekamen ein paar komische Blicke von den anderen Leuten in der Bar, aber wir ignorierten sie.
"Even she's crying altough she's german", sagte Tal halb lachen, halb schniefend über mich. Wir machen immer Witze darüber, dass ich keine Gefühle hätte.
Dann ging Tal.
Die Stimmung war mega komisch.
Traurig.
Verlegen.
Wir standen immer noch da, mit glasigen Augen.
Aber wir sprachen auch laut aus, wie merkwürdig diese Situation war. Fredrik erzählte mir in diesem Zusammenhang, dass er einige Dinge mit sich herum schleppt, die er noch nicht verarbeitet hat. Außerdem wurden bei ihm Depressionen und Aspeger festgestellt. Das mit den Depressionen hatte er schon mal angedeutet, das mit Asperger überraschte mich total.
Dann nahmen wir wieder Platz.
Bald daraufhin ging Guillermo, sodass es nur noch Fredrik, Ophélie und ich waren.
Ophélie fing an betrunken zu werden und das war unglaublich süß. Sie versuchte die ganze Zeit auf deutsch und norwegisch zu reden und wiederholte sich ständig.
Bisher hatte sie immer langärmelige Sachen getragen, deshalb hatte ich es nicht gesehen. Sie zeigte mir ihre Tattoos. Sieben Stück, die keine wirkliche Bedeutung hatten. Ein großes Muster auf ihrem Bauch, unterhalb ihrer Brüste. Ein Smiley (den stach sie sich, als sie traurig war), den großen Wagen und das Wort "temporary" (weil sie es lustig fand, da Tattoos ja alles andere ala temporär sind). Den Rest hab ich leider vergessen, aber ich meine, dass sie definitiv noch welche auf dem Schulterknochen und auf dem Knöchel hatte. Bis auf das auf dem Bauch hatte sie sich alle Tattoos selbst gestochen. Dieses Mädel faszinierte mich. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so von einem Menschen fasziniert war. Wir sprachen darüber, welche Tattoos wir uns stechen lassen würden. Ich finde Tattoos mega cool und hätte ich für jede Persönlichkeit in mir einen Körper, würde ich es definitiv in Erwägung ziehen. Aber ich habe nur einen Körper und die Haut ist nun mal ein Organ. Würde ich meine Leber tätowieren? Meine Lunge? Ich glaube nicht. Die Tinte, so gut verträglich sie auch sein mag, ist immer noch ein Fremdkörper.
Für mich kommt das daher nicht in Frage, aber das Thema an sich finde ich extrem spannend.
Fredrik würde sich die Wörter "doors and corners" tätowieren lassen. Erst war ich verwirrt, aber seine Erklärung war ziemlich tiefsinnig: wir wissen nicht, was hinter Ecken und Türen lauert. Das Leben kann sich so schnell verändern, wenn wir um die Ecke gehen oder eine Tür öffnen.
So hatte ich das Ganze noch nicht betrachtet.
Wir wurden ziemlich tiefsinnig.
Ophélie und Fredrik fingen an ein wenig von ihrer Beziehung zu erzählen. Laut Fredrik, war er selbst "all in" und Ophélie nur so halb. Er sagte das halb im Scherz, aber er hatte auch schon öfter erwähnt, dass Ophélie "full of herself" ist. Was ich persönlich sehr cool uns gesund finde. Ich wünschte, ich wäre mehr so. Ich arbeite daran. Deshalb finde ich (und auch andere) ihre Ausstrahlung so magnetisch.
Ich hatte das Gefühl, dass Ophélie Fredriks Anker ist. Insbesondere im Hinblick auf eine psychische Gesundheit, an der er nach eigenen Angaben noch arbeiten muss. Ophélie hatte im ein Kuscheltier geschenkt, er begründete das mit "You know it's hard when she's not around". Ich finde die beiden mega süß und ich habe, als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, sofort die starke Verbindung zwischen ihnen gespürt. So stark, dass ich mir sicher war, dass die beiden heiraten werden. Fredrik würde wahrscheinlich ohne zu zögern zu ihr nach Kanada ziehen, da er Norwegen hasst.
Ophélie redet ein wenig lockerer von ihrer Beziehung. Sie sprach davon, wenn sie im September zurück nach Kanada gehen würde, Fredrik aber noch ein weiteres Semester hier bleiben würde.
Wir sprachen über so viele Dinge und irgendwann war es nach eins. Mit Ausnahme von ein paar anderen, waren wir die letzten in der Bar und wieder hatte ich das Gefühl, dass das genau das ist, wonach ich gesucht hatte. Tiefsinnige Gespräche mit interessanten Menschen, so lange, bis sie uns raus schmeißen.
Kurz darauf schmissen sie uns wirklich raus. Ophélie und Fredrik gingen nach Hause, ich um die Ecke zu meiner Wohnung.
Was für ein schöner Abend.

4. März
Ophélie lud mich zu sich zum Abendessen ein. Sie war vor wenigen Tagen in eine WG in der Nähe des Parks gezogen.
Obwohl es nicht einfach war, fand ich den Weg. Mit Snacks und einer Flasche Wein beladen stieg ich die Stufen hoch in den letzten Stock. Fredrik war auch schon da, ebenso ein spanischer Jorgé und eine chilenische Pamela. Fredrik und ich halfen Ophélie indem wir Reis kochten und abspühlten. Später kam noch ein deutscher Xaver dazu. Wir hatten eine extrem gute Zeit und viel zu lachen. Ophélie hatte Reis mit einer Brokkoli- Paprika-Soße, Kartoffelpüree und Fleisch gemacht. Sie hatte mir bereits erzählt, dass sie sehr gerne kocht, deshalb war ich auch nicht überrascht, als es so gut schmeckte.
Wir redeten über das, was unsere Generation beschäftigt: Musik, der Coronavirus und Astrologie.
Ich erfuhr, dass Ophélie erst zwanzig Jahre alt war. Das überraschte mich extrem. Sie wirkt so viel reifer, ich hätte sie locker auf Mitte zwanzig geschätzt.
Gegen elf musste ich leider gehen, weil ich am nächsten Tag arbeiten musste. Ich wäre gerne länger geblieben.


Natürlich gibt es auch Themen außerhalb dieser Gruppe, die mich beschäftigen. Mein Selbstbewusstsein ist nicht auf dem Level, auf dem ich es haben möchte. Meine Gesundheit auch nicht. Ich gebe mein Bestes um das Ganze auf Vordermann zu bringen, aber ich denke, es braucht einfach Zeit.
Am Wochenende war ich mit Lene, Addi und Felix feiern, was sehr cool war. Addi wie für ein Jahr nach LA gehen. Er und ich hatten in einer Bar sehr tiefsinnige Gespräche, was ich wirklich sehr cool fand. Er sagte, dass er mit mir so gut reden konnte und das bedeutete mir viel.
Ich glaube, das ich schon lange nicht mehr so nüchtern im Club war, aber ich versuchte alles, so gut es ging auszublenden. Ich tanzte sogar mit Addi auf dem Podest, was ich sonst nur unter größerem Alkoholeinfluss machen würde .
Ich wusste, dass ich noch nicht hundertprozentig fit war, aber ich wollte trotzdem in den Club gehen. Das machte sich bezahlt, als ich zwei Tage später Ohrenschmerzen bekam. Mein Immunsystem ist scheinbar ziemlich geschwächt, obwohl ich viel dafür tue, um es zu stärken.
Ich kann nicht sagen, was in nächster Zeit ansteht. Erstmal muss ich wieder vollständig gesund werden. Ich brauche einen neuen Laptop, eigentlich wollte Ich auch Urlaub buchen. Aber die Situation ist ziemlich ungewiss. Ich habe keine Angst vor dem Coronavirus. Ich habe lediglich Angst, dass ich Leute, die mir etwas bedeuten, dann damit anstecken könnte.
Ich finde die Zukunftsprognosen bezüglich des Virus relativ widersprüchlich. Einige sagen, es dauert nur bis zum Sommer, weil der Virus keine Wärme mag. Andere rechnen damit, dass es definitiv bis in den Herbst dauert.
Keine Ahnung, was davon stimmt. Ich habe auch keine wirkliche Lust, mich damit zu beschäftigen, weil mich das Thema nervt. Es gibt scheinbar kein anderes Thema mehr. Man braucht nur die Tagesschau einzuschalten und es geht nur um Corona, Corona, die EU-Außengrenzen und Corona. Natürlich hab ich Verständnis dafür, dass dieses Thema die momentane Priorität der Berichterstattung ist, aber ich persönlich kann es nicht mehr hören.
Stunden später habe ich meine Meinung geändert. Dieser Artikel hat mich zum Nachdenken gebracht.

https://www.google.de/amp/s/amp.n-tv.de/panorama/Corona-Arzt-schildert-Situation-in-Bergamo-article21633021.html

... comment