Mittwoch, 4. August 2021
Männer ohne Seele sind verliebt, Madonna
Vor eineinhalb Wochen bin ich mit Felix, Lene, Ina und Vroni ins Ausland gefahren. Felix studiert in der Stadt im Osten und wollte mit uns dort ein Wochenende verbringen. Ich war schon zwei Mal in dieser Stadt, beide Male mit Ina. Das letzte Mal ist allerdings schon zehn Jahre her. An einige Sachen kann ich mich noch gut erinnern. An das Gewitter, das über die neoklassizistische Konstruktion auf dem Hügel gegenüber dem Schloss hereinbrach, das die wohl schönste Frau ihrer Zeit damals als Kerker ansah. Mein Schrei als der Blitz krachend in unmittelbarer Nähe einschlug. Madame Tussauds, unser einfaches Hostel, mehrere Abendessen in der namensgleichen Kneipe. Den Freizeitpark, die Fahrt mit dem Riesenrad. Das schickte Hotel, in das Jonas ohne zu Zögern eintrat. Das altmodische Café, in dem wir Unterschlupf vor dem Regen suchten und in dem Jonas sein Eis fallen ließ. Die Innenstadt, den Dom, die Reitschule. Der Park, der Garten voller Rosen. Das Museum, das der Frau gewidmet war, die Ina so sehr liebt, wie ich ihn. Wie seltsam, dass die beiden sehr vertraut miteinander waren. Und wie faszinierend, dass Ina und ich Teile von uns in diesen längst verstorbenen Personen sehen.
Zurück zur Gegenwart. Felix lieh sich das protzige Auto seines Vaters ("weil es mehr PS hat") aus und holte uns alle ab. Ich fand es sehr nett, das er fuhr, aber er kannte mich. Und ich kannte ihn. Er wusste genau, dass ich es absolut hasste, wenn er raste. Und manchmal macht er es absichtlich, um mich zu ärgern. Auf einer deutschen Autobahn zu sterben ist wohl der wahrscheinlichste Tod, den ich mir derzeit vorstellen kann. Ich bin nicht bereit zu sterben. Und ich habe absolut keine Flucht- oder Kontrollmöglichkeit. In dem Moment, in dem das Auto losfährt, übergebe ich die Kontrolle über mein Leben an den Fahrer. Dementsprechend fordere ich auch einen würdevollen und besonnenen Umgang. Ein Tempo über der Richtgeschwindigkeit muss nicht sein, lautstarkes Gasgeben, Drängeln und Provozieren gehen gar nicht. Bei der Hinfahrt verhielt sich Felix überwiegend vernünftig. Trotzdem war ich froh, als wir die Landesgrenze überquerten und er sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten musste.
Gott, ich wünschte, deutsche Autobahnen unterfielen auch endlich einer Geschwindigkeitsbegrenzung. Alles andere ist einfach nicht fortschrittlich.
Nach einigen Stunden kamen wir an. Felix parkte in einer Tiefgarage, wir nahmen unser Gepäck und gingen zu seiner Wohnung. Während es bei uns fast ununterbrochen regnete und die Temperaturen eher herbstlich waren, schien die Hitze nur so in den Straßen dieser Stadt zu stehen. Als wir in der Wohnung, die zentral an einem schönen Platz lag, ankamen, waren wir ziemlich fertig. Felix schaltete die Klimaanlage an und kümmerte sich um ein paar organisatorische Dinge, die während seiner dreimonatigen Abwesenheit angefallen waren, während wir auf die Terrasse gingen, die einen schönen Ausblick über die Dächer der Stadt bot. Felix gab uns alle ein kühles Radler, das wir uns erst einmal an die Stirn (Lene) oder an den Nacken (ich) hielten, weil wir so überhitzt waren. Danach hörten wir auf meinen Wunsch hin erst einmal "Ischgl-Fieber".
Nach dem wir eine kleine Pause gemacht haben, kauften wir ein und schlenderten danach durch die Straßen der Stadt. Es war nach wie vor heiß, aber dennoch genoss ich die alten Gebäude, die schönen Parks und diese unerwartete Normalität, die mich an eine prepandemische Zeit erinnerte. Mein Herz ging auf als ich die Statuen von zwei meiner Lieblingsdichter entdeckte, die sich brüderlich in die Augen sahen. Vorbei an der Reitschule, der Innenstadt, am Markt.
Nach ein paar Stunden fanden wir etwas ermüdet und hungrig den Weg zurück in Felix Wohnung. Wir duschten, bestellten Pizza und spielten Bierpong auf der Terrasse. Felix und ich bildeten ein Team und ich traf überraschender Weise sogar viermal. Normalerweise treffe ich nie. Ich wollte es mit dem Trinken auch langsam angehen lassen, da mein letzter Alkoholkonsum ein paar Wochen zurücklag und ich mir nicht sicher war, wie viel ich vertrug. Am Ende war ich etwas angetrunken, aber es hielt sich in Grenzen. Als es draußen zu dunkel für Bierpong wurde, spielten wir drinnen ein Kartentrinkspiel. Als wir alle schon etwas angetrunken waren, legten wir uns auf die Terrasse, schauten in den Himmel und redeten, philosophierten und sagen. Ina schlief sogar kurzzeitig auf der Terrasse ein, weshalb wir schlussendlich beschlossen, uns bettfertig zu machen. Ina und Vroni schliefen auf der Couch, Lene und ich bildeten die Bodentruppe. In der ersten Nacht schlief ich nicht besonders gut. Entweder war es zu heiß oder dank der Klimaanlage zu kalt. Trotzdem war ich nicht müde, als ich morgens aufstand und duschte. Nachdem wir uns fertig gemacht hatten, kauften wir etwas beim Bäcker und traten dann den Weg in Richtung Schloss an. Obwohl es erst morgens war, knallte die Sonne schon wieder ziemlich runter.
Wir buchten eine Führung mit Audioguide. Mein Herz ging auf. Mein Wissensdurst wurde endlich wieder gestillt. Das erfüllt mich einfach so sehr. Natürlich sorge ich auch daheim dafür, dass ich mich stets weiterbilde, insbesondere bei Themen, die mich sehr interessierten. Aber es befeuert den Geist nochmal anders, wenn man in den großen Sälen steht und sich die geschichtlichen Ereignisse wirklich vorstellen kann. Auch ich teile Inas Faszination der Frau, die laut Audioguide die wohl schönste Frau ihrer Zeit war und sich dessen auch bewusst war. Das brachte mich zum Nachdenken. Ich weiß, dass Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl das A und O sind. Aber wenn ich mir all die wunderbaren Frauen um mich herum anschaue...wie viele sind sich ihrer inneren und äußeren Schönheit wirklich bewusst? Konkret fällt mir niemand ein. Meine Freundinnen sind - so wie ich - oft viel zu selbstkritisch. Ich habe das Gefühl, sie sehen sich nicht so, wie ich sie sehe. Das mag ein Nebeneffekt der Pandemie sein. Trotzdem ist es unendlich schade und auch irgendwo eine Zeitverschwendung. Wir sollten alle so selbstbewusst sein wie mittelalte, übergewichtige englische Fußballfans es sind, die ihre behaarte Wampe schamlos in der Öffentlichkeit präsentieren. Niemand will es sehen, Andrew.
Wir verbringen so viel Zeit damit uns schön zu machen. Wann fangen wir damit an, uns unserer Schönheit - egal in welcher Form - bewusst zu sein?
Ein weiterer Punkt, der mich nachdenklich machte, war die Ehe dieser Frau. Sie schien ihrem Mann (und Cousin) zumindest am Ende ihres Lebens nicht besonders zugetan zu sein. Was ich verstehen konnte, wenn man bedenkt, dass er mehrerer Mätressen und mit ihnen Kinder hatte, die alle auf dem Schlossgelände lebten. Das mag normal für diese Zeit gewesen sein, aber sein Verhalten strotzte vor Ambivalenz. "Sie wissen gar nicht, wie sehr ich diese Frau geliebt habe!", beteuerte er angeblich, als er von ihrem Tod erfuhr. Hast du? Das ist deine Definition von Liebe? Die stimmt mit meiner absolut nicht überein. Wobei es ja unterschiedliche Arten von Liebe gibt. Und unterschiedliche Definitionen. Was er als Liebe bezeichnete, wäre nach meinem Wortschatz eher eine Faszination, die in ihrer unbestrittenen Schönheit, Selbstbestimmtheit und ihrer Unnahbarkeit gründete. Ist das das Geheimnis? Nie alles zu geben, immer ein bisschen unerreichbar zu sein?
Genau nach diesem Prinzip verfahre ich seit Jahren. Nicht, wenn es um Freundschaft geht. Wobei ich auch dort stets meinen Sack mit Geheimnissen rumschleppe, den ich nie öffne. Es wird nie jemanden geben, der alles über mich weiß. Dieses Privileg gebührt nur mir.
In Gedanken versunken schlenderte ich durch die prunkvollen Räume des Schlosses. Trotz ihrer Schönheit konnte ich verstehen, wie man es mit einem Kerker vergleichen konnte. Auch ich würde mich stets nach meiner Heimat sehnen.

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