Mittwoch, 29. September 2021
I wanna get a text but I never wanna text back
Ich wusste, dass ein Gespräch mit Franzi meine Stimmung ändern würde. In den letzten Wochen ging ich mit mir selbst, aber auch mit der ganzen Welt und ihren gegenwärtigen Problemen sehr hart ins Gerichts. Mein Denken basierte auf Angst, auf Emotionen. Ich bin nicht ausgebildet dazu, Diagnosen zu stellen, noch dazu eine Selbstdiagnose. Aber in einigen Artikeln, die ich zu Hypersensibilität gelesen hatte, fand ich mich selbst wieder. Dementsprechend ist es trivial, wenn die Probleme der Welt schwer auf meinen Schultern liegen. Oder es sich zumindest so anfühlt. Vor zwei Wochen sah ich die Dokumentationsserie ?Wendepunkt? auf Netflix, wieder konnte ich mich sehr gut in alle möglichen Menschen in verschiedensten Situationen hineinversetzen. Situationen, in denen ich selbst noch nie war und hoffentlich auch nie sein werde.
Problematisch ist, dass ich dieses Gewicht nicht ausschließlich alleine mit mir herumtrage, sondern einen kleinen Teil davon auch in meinen innersten Kreis mitbringe. Meine Freunde nennen es liebevoll ?austeilen?, aber je mehr ich darüber nachdenke, desto eher wird mir bewusst, wer ich gerade bin und wer ich sein will. Ich möchte eigentlich niemand sein, der emotionale Diskussionen führt, bei denen Fakten und Rationalität brüderlich am Spielfeldrand stehen. Ich möchte meine Freunde nicht mit den Problemen der Welt belasten, die sie ohnehin schon kennen. Ich möchte eine gute Freundin sein, meine Freunde aufbauen, sie zum Lachen bringen und sie mit einem besseren Gefühl ziehen lassen. Diese Person bin ich auch irgendwo, aber noch nicht hundertprozentig. Ich lasse insbesondere Nachrichten zu sehr an mich heran. Seit Beginn der Pandemie fällt es mir schwer, ein Gleichgewicht zwischen Problembewusstsein (und Wissen) und der nötigen Distanz dazu zu finden. Je intensiver ich mich mit einem Thema beschäftige, desto eher besteht die Gefahr, dass meine Emotionalität überhand nimmt. Und dann bin ich nicht glücklich. Ich schleppe die Emotionen anderer mit in meinen Alltag und verteile sie dort wie Werbegeschenke. So möchte ich nicht sein. Wie kann ich damit umgehen?
Genau diese Frage stellte ich Franzi vor eineinhalb Wochen. Sie ist mir in vieler Hinsicht ähnlich. Auch sie nimmt die Emotionen anderer sofort auf. Irgendwann entschloss sie sich dazu, weniger Nachrichten anzuschauen. Zu ihrem eigenen Schutz. Ist das der richtige Weg? Franzi ist wohl der positivste Mensch, den ich kenne. Aber auch sehr fürsorglich und empathisch. Sie ersetzt Nachrichten mit inspirierenden Videos. Sollte ich das auch machen?
Vielleicht teilweise. Franzi ist in ihrer kompletten Lebenseinstellung ein absolutes Vorbild. Und ist das nicht das, was ich wirklich will? Glücklich sein?
Ich bin dankbar, gesegnet. Aber ich sprudle nicht vor Glück. Ich hinterfrage alles. Sollte ich nicht manchmal einfach nur das Leben genießen und glücklich sein?
Schaut man sich das vergangene Jahr an, hätte ich das eigentlich sein müssen. Ich war es auch. Nicht durchgängig, aber oft. Aber ebenso oft verlor ich mich im Strudel der Nachrichten.
Nach dem Gespräch mit Franzi ging es mir um einiges besser. Ich beschloss, etwas zu ändern. Und diese Veränderung spüre ich schon Schritt für Schritt. Dennoch ist es eine Herausforderung, mich nicht wieder in den Strudel reißen zu lassen. Die Wahlen machten es mir schwer. Ich fertigte Pro- und Contra-Listen zu fast allen Parteien an und entschied danach. Was wollte ich? Dass es mir und meinen Liebsten gut geht. Das tut es. Wie kann ich es verbessern? Was ist mit der gesellschaftlichen Spaltung, den künftigen Problemen, denen das Land gegenüber stehen wird, den Schulden? Was ist mit meiner Zukunft?
Wer auch immer von nun an die Regierung bilden wird...ich kann nicht sagen, dass ich besonders viel Vertrauen habe. Dabei möchte ich die Zukunft gar nicht schwarz malen und den Verantwortlichen auch eine Chance geben, sich zu beweisen. Noch dazu könnte ich es selbst wahrscheinlich kein Stück besser, also wer bin ich, um darüber zu urteilen? Ein auf Angst basiertes Denken ist die wohl schlimmste Lebenseinstellung. Ich habe viel Vertrauen in unsere Demokratie, auch wenn dieses immer mal wieder missbraucht wird. Gleichzeitig finde ich die zunehmende Aufrüstung, die Verschärfung der Konflikte und der Kampf um die Weltherrschaft äußerst besorgniserregend. Bisher hat es in jedem europäischen Jahrhundert mindestens einmal geknallt. Wird es auch in diesem Jahrhundert knallen? Verträge sollten uns eigentlich davor schützen, aber was ist mit Ländern, die - wenn es hart auf hart kommt - auf solche Verträge scheißen, ebenso wie sie es mit Menschenrechten tun? Nehmen wir den Frieden für selbstverständlich? Braucht die Menschheit ab und an eine Katastrophe, um wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen? Wohl die wenigsten Länder haben ihre Geschichte so intensiv aufgearbeitet wie Deutschland es mit seiner tat. Aber haben auch wir nachhaltig daraus gelernt?
Zurück aus dem Strudel. Franzi hatte eine Neuigkeit. Ich war absolut überrascht, fasziniert und freute mich total für sie. Sie ist der Inbegriff des Feminismus. Wow. Dieser Mut, dieses Urvertrauen. Davon kann ich mir noch einige Scheiben abschneiden. Jeder, der sie kennt, kann sich so glücklich schätzen. Sie ist eine pure Bereicherung für jedes Leben. Meine Inspiration.

Ansonsten passiert viel und gleichzeitig auch gar nichts. Ich versuche in das neue Semester mit mehr Motivation zu starten. Vor einigen Monaten habe ich es definitiv übertrieben, mir viel zu wenig Pausen gegönnt. Ein ausgewogenes Verhältnis ist der Schlüssel. Zu allem.
Kurz nach meinem Urlaub luden Lene und Markus zu einem Cocktailabend ein. Das war wirklich sehr schön. Und Lene macht richtig gute Cocktails. Eine Woche später überraschten wir Vroni nachträglich zu ihrem Geburtstag, verbanden ihr die Augen und fuhren mit ihr Boot. Sie hat sich so sehr gefreut, dass sie sogar weinen musste. Anschließend machten wir ein Picknick und sahen zu wie die Sonne hinter dem See versank. Spontan beschlossen Ina, Vroni und ich noch in eine Bar zu gehen. Die Bar war ganz okay, aber der Abend war echt cool. Ich merkte erst am nächsten Tag, als ich die Fotos sah, wie viel ich wirklich getrunken hatte. Glücklicherweise zu wenig, um was ziemlich Dummes zu machen, aber genügend um die Leine meiner Hormone zu lockern.

Ich traf mich auch mit Toni nach Ewigkeiten wieder. Sie hat seit einigen Monaten einen Freund und obwohl (oder vielleicht auch gerade weil) alles sehr schnell ging, ist sie sehr glücklich. Ich hab ihn noch nicht kennengelernt, aber das kommt bestimmt noch.

Julia ist inzwischen mit Ronny nach Frankfurt gezogen. Ich freue mich sehr für sie und bin mir sicher, dass ihr das gut tun wird, zumal sie schon vor einigen Jahren überlegt hatte, dorthin zu ziehen, dann aber überraschender Weise Ronny kennengelernt hatte.
Die beiden sah ich zum letzten Mal an Nadjas Geburtstag, der ziemlich ? war. Mir fehlt das passende Wort. Ich musste in einigen Situationen innerlich schmunzeln, weil Nadja einfach Nadja war. Ihr Nicht-Freund Marco (mit dem sie aber gerne zusammen wäre) war ein Miesepeter schlechthin und verbreitete keine gute Stimmung. Trotzdem waren ihre anderen Freunde sehr nett und wir verbrachten einen schönen Abend. Bei Trinkspielen bestimmte Nadja sowohl Marcos als auch Julias Aufgaben ganz genau und achtete darauf, dass Julia mit keinen Jungs im Beerpongteam war. Klassisch. Ich musste früher gehen, weil mein Flug zwei Tage später ging und ich noch einiges zu erledigen hatte. Nadja hatte auch Simon eingeladen, der noch nicht da war. Allerdings wollte sie unbedingt, dass er und ich aufeinander treffen. Nadja. Wir haben an einem Abend (sternhagelvoll) im Club ein bisschen rumgemacht, es ist über zwei Jahre her, er ist inzwischen mit seiner Freundin zusammen gezogen. Was erhoffst du dir davon? Ich wusste es. Drama. Sie liebt das Drama.
Allerdings würde kein Drama entstehen. Selbst wenn wir im Schlechten auseinander gegangen wären, würde ich heute bestimmt anders darüber denken und ihm alles Gute wünschen. Was ich ohnehin tue. Außerdem würde ich mein Gesicht wahren. Immer.
Während sie ihm fanatisch schrieb, er solle sich beeilen, versuchte sie gleichzeitig, meinen Abgang so gut es ging zu verzögern. Ich schmunzelte innerlich. Ich mag Nadja, aber irgendwie tut sie mir auch Leid. Ich weiß, dass einiges in ihrem Leben nicht glatt läuft (auch wenn sie sich etwas anderes einredet). Sie braucht das Drama, die Aufmerksamkeit, die Typen um jeden Preis. Nichts scheint sie so richtig zu erfüllen.
Irgendwann verabschiedete ich mich von allen und ging schon einmal in den Flur. Ich sah es überhaupt nicht ein, meine Bahn zu verpassen, nur um Simon kurz zu sehen. Nadja schickte ihm eine Nachricht nach der anderen, lief zur Haustüre runter, um auf ihn zu warten. Ich zog meine Schuhe und meine Jacke an und war im Begriff aus der Tür zu gehen, als er kam. Nadja beobachtete uns grinsend, als wir uns umarmten und kurz sprachen. Nach nicht einmal 15 Sekunden war ich aus der Haustüre. Oh Nadja. Ich wünsche ihr nichts als Seelenfrieden.

Macy ist seit Anfang August in Südkorea und macht dort ihren Master. Ich freue mich so sehr für sie. Ich bin mir sicher, dass sie dort zu sich selbst findet und selbstbewusster wird. Diese Stadt ist wie ein Dorf und Macy ist ein Stadtmensch, durch und durch.

Felix kam am Sonntag überraschenderweise bei mir vorbei. Er gab mir einen DIN A4 Umschlag mit den Worten, das sei mein Geburtstagsgeschenk. Er wird in den nächsten Wochen nicht im Land sein, weil die Uni wieder anfängt, weshalb er mir es jetzt schon gab. Ich war total überrascht. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob ich meinen Geburtstag feiere und selbst wenn, brauche ich keine Geschenke. Aber ich habe mich sehr gefreut. Es ist wirklich nett, dass er an mich denkt und dann sogar extra vorbeikommt. Dazu kommt, dass ich mich in den letzten Wochen eher zurück gezogen habe. "Der mag dich wirklich gern". Ja. Hoffentlich nicht zu gerne.

Ich habe das Gefühl, dass wieder ein bisschen Schwung in mein Leben kommt. Der Alltag wird immer normaler und irgendwie ist das schön.

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