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Freitag, 29. Oktober 2021
I've been California dreaming, plastic hearts are bleeding
honigbienchen, 19:01h
Bin ich naiv, weil ich immer daran geglaubt habe, dass das weibliche und das männliche Geschlecht rein platonisch befreundet sein können?
Oder liegt es an der Pandemie, die unsere Grundfeste so erschütterte, dass wir nicht mehr klar denken können?
Oder liegt es an der Pandemie, die unsere Grundfeste so erschütterte, dass wir nicht mehr klar denken können?
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Just say goodnight 'n' go
honigbienchen, 18:41h
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich anfangen soll.
Die letzten beiden Tage habe ich versucht, die Geschehnisse zu analysieren und gleichzeitig zu verdrängen.
Vielleicht versuche ich einfach in chronologischer Reihenfolge aufzuzählen, was passiert ist.
Addi holte mich gegen halb neun ab. Alle anderen waren nicht in der Stadt, krank oder beschäftigt, weshalb nur wir beide essen gingen. Die Gaststätte, in die wir eigentlich gehen wollten, hatte unerwarteterweise geschlossen, ebenso wie unser Backupplan. Also fuhren wir in Richtung Stadt, kamen an einem Asiaten vorbei, zu dem wir dann zum Essen gingen.
Es war unter der Woche und nicht gerade früh, weshalb wir die einzigen im Lokal waren. Für einen Bruchteil der Sekunde musste ich an die Szene aus "Groupies bleiben nicht zum Frühstück" denken, an der sie spätabends asiatisch essen.
Wir teilten uns eine Vorspeise, die ziemlich reichhaltig war und mir war da schon klar, dass ich mein Hauptgericht nicht schaffen würde.
Wir redeten ziemlich viel.
Addi und ich sind uns in einigen Punkten sehr ähnlich. Wir lieben beide Geschichte, überdenken alles viel zu sehr, sind vielleicht alte Seelen und Kritiker sozialer Medien und haben ein Faible für literarische Epochen. Wir fingen an, unsere Charakterzüge anhand von Epochen zu analysieren. Als ich 16 Jahre alt war, dachte ich immer, ich würde aufgrund meiner hohen Mauern der Aufklärung am nächsten kommen. Ich blockte jeden ab, der mir zu nah kam. Aber eigentlich war ich viel zu sensibel und emotional für die Aufklärung. Mein Ideal war immer die Klassik. Ein Gleichgewicht zwischen allem. Zeitlos, friedlich. Bin ich schon dort? Vermutlich noch nicht ganz. Ich liebe den sturm- und drängerischen Freiheitsgedanken, den romantischen Optimismus sowie die Hingabe zur Religion und die aufklärerische Nutzung des Verstandes als Grundlage jeden Handelns.
Wir gingen ziemlich in die Tiefe bei unserer Analyse und Selbstcharakterisierung. Ich war ziemlich offen und sagte ihm alles, was ich hier auch schreibe. Inklusive, dass ich für die reine Aufklärung wohl ein bisschen zu sensibel war.
Was das ein Fehler?
Aber wir sind doch Freunde, da erzählt man sich doch vieles. Ohne Filter, mit weniger Mauern.
Wir hatten aber auch über andere Themen tiefgründige Gespräche. Seine Ex aus den USA hatte ihm wieder geschrieben (so wie ich es vorher gesagt hatte), ihn angerufen und dann blockiert. Ich warnte ihn, dass das noch nicht vorbei wäre. Sie würde wieder kommen.
Seine Ex hatte ihn ziemlich verletzt. Sie wollte nichts ernstes, schlief mit seinem besten Freund, als sie dachte, dass es etwas mit einer anderen hätte, kommunizierte nicht, kreierte Drama und schob alles auf ihr Trauma. Es war auch die intensivste Beziehung, die Addi jemals geführt hat.
Wir sprachen wieder viel darüber, über Selbstwertgefühl und Dynamiken in Beziehungen. Er fragte mich nach dem Abend im Club, ich erzählte von der hohen Frauenquote und den jungen Männern. Nicht, dass ich dagegen was hätte, aber sie sind oft unsicherer und kommen weniger in die Gänge. Ich sprach davon, dass ich die Regeln nicht ändern würde, weil "die Eizelle auch nicht zum Spermium schwimmt."
Ich erwähnte, dass Brigitte Bardots dritter Ehemann zu ihrer Verlobung 1000 Rosen per Helikopter über ihrem Haus abwarf. Alles darunter will ich nicht.
Addi grinste:"500 Rosen reichen auch?"
Ich:"Es geht nicht um das Geld. Es geht um den Aufwand und die Mühe, die man sich macht. Ich hätte viel lieber einen selbstgepflückten Blumenstrauß als ein teures Bouquet, das der Assistent besorgt hat. Ich würde lieber zu einem Picknick gehen, das jemand vorbereitet und organisiert hat, als in einem teuren Restaurant zu sitzen."
Ich wäre lieber mein ganzes Leben lang alleine, als meine Standards runterzuschrauben. Wir sprachen auch davon, was unsere Standards wären. Neben den klassischen wie Empathie und Loyalität steht bei mir Holzhacken und die lustigste oder zweitlustigste Person der Welt zu sein auf meiner Liste. Was sehr schwierig sein dürfte, weil Nummer eins von Bully Herbig und Nummer zwei von niemand anderem als mir selbst belegt wird. Weil ich liebend gerne über meine eigenen Witze lache.
Scheidungsgründe waren für mich unter anderem Rennradfahren, eine Ablehnung des Tempolimits und die Annahme einer anderen Todesursache meines Lieblingskönigs.
Bezüglich letztem ließ ich auch vor zwei Wochen einen Typen abblitzen, was Addi nicht glauben konnte.
Als Addi einmal vergaß, was er sagten wollte, forderte er mich auf, irgendetwas interessantes zu sagen. Ich erwähnte den Fakt, dass Hemmingway als Glücksbringer immer eine Kastanie in der Manteltasche hatte. Zufällig hatte ich auch eine in meiner Manteltasche (unabhängig von Hemmingway, einfach nur weil das Kind in mir den Herbst liebt), was Addi ebenso überraschte wie die Reiszwecken in meiner Tasche.
Neben ernsten und kultivierten Gesprächen hatten wir auch viel zu lachen. Unser Humor ähnelt oft dem von 14-jährigen Jungs, die Zweideutigkeit urkomisch finden.
Wir sprachen auch viel über seine Familie und seine Rückkehr in die USA.
Nachdem wir bezahlt hatten, brachte uns die Kellnerin noch Shots und Glückskekse, deren Sprüche wir uns gegenseitig vorlasen.
Wir verließen das Lokal, er fuhr mich nach Hause. Auf dem Weg fuhren wir an unserer ehemaligen Schule vorbei. Im Lehrerzimmer brannte sogar noch Licht, aber die Tore waren verschlossen, weshalb wir nicht reinfuhren. Wir haben teilweise ähnliche Erinnerungen an unsere Schulzeit, wobei meine etwas schöner sind als seine. Trotzdem hatte auch ich meine Schwierigkeiten, weshalb ich meine Mittelfinger erhob.
Durch den Nebel fuhr er mich nach Hause.
Er parkte und wie immer blieben wir noch im Auto sitzen und redeten so lange, bis er erneut die Lüftung anmachen musste, weil die Schreiben beschlugen. Wir redeten über alles mögliche. Nicht jugendfreie Themen, inspirierende Zitate, seine Familie, unsere Heimat, seine Zeit in den USA, darüber, dass Moral und Empathie einem oft einen Strich durch die Rechnung machen können, wie wir alles zerdenken und mehr im Moment leben sollten.
Einmal sagte ich etwas, ich habe keine Ahnung mehr was es war. Ich glaubte es war etwas nach dem Motto, dass Freiheit in der Zurückhaltung liegt. Ich spürte eine komische Aura im Auto. Addi wich meinem Blick aus, sagte nur mit einem leichten Lächeln:"Ja, das stimmt, da hast du vollkommen recht."
Irgendwann umarmte ich ihn zum Abschied und sagte, dass er sich jederzeit melden könne, wenn er jemandem zum Reden bräuchte. In den ersten Wochen in den USA ging es ihm nicht besonders gut, aber Lene und ich erfuhren erst von Hendrik davon. Das sagte ich ihm auch. Er gab es zurück und meinte, ich könne mich auch jederzeit melden. Ausgerechnet ich, diejenige, die alles mit sich selbst ausmacht.
Ich nahm mein Hühnchen süßsauer, das ich mir einpacken lassen habe, stieg aus seinem Auto aus und sperrte die Haustüre auf. Mittlerweile war es halb eins. Ich zog meine Schuhe und meinen Mantel aus, stellte das Hühnchen in den Kühlschrank und ging ins Badezimmer, um mich abzuschminken. Gerade als ich meine Hände gewaschen hatte, sah ich einen Anruf von Addi auf meinem auf lautlos gestellten Handy, das ich ins Badezimmer mitgenommen hatte, um meine tiefsinnige Musik zu hören.
Ich nahm den Anruf an, in der Annahme, dass ich etwas im Auto vergessen hätte.
Ich:"Ja?"
Er:"Hey, kannst du nochmal kurz raus kommen?"
Ich:"Ja, warte, ich geh kurz runter."
Ich nahm meinen Schlüssel, ging runter und schlüpfte schnell in meine einstig weißen Sneaker.
Ich öffnete die Türe, Addi tat einen Schritt herein und auf mich zu. Er legte seine Hand auf meine rechte Wange und kam mit seinem Gesicht bedenklich nahe.
Ich zog verwirrt die Augenbrauen zusammen, packte ihn an der Seite von seinem Hals und schob ihn aus dem Flur nach draußen, um niemanden zu wecken. Ich schloss die Haustüre hinter uns.
Ich - vollkommen verwirrt -:"Addi, was machst du?"
Er:"Dich küssen?"
Ich:"Was?"
Er:"Dich küssen."
Ich:"Wieso?"
Er:"Weil ich es bereuen würde, wenn ich es nicht getan hätte."
Ich:"Woher kommt das denn jetzt auf einmal?"
Er:"Weil wir darüber geredet haben."
Ich weiß nicht, was mich geritten hat. Vielleicht meine Hormone, vielleicht, weil ich im Moment leben wollte, ohne alles zu zerdenken, vielleicht wollte ich seinen Mut, noch einmal zurückzufahren und so vor meiner Haustür zu stehen, belohnen.
Ich:"Aber das muss unter uns bleiben."
Er:"Ja."
Ich zuckte mit den Schultern, sagte "Okay" und zog ihn zu mir heran. Der Adrenalinrausch setzte augenblicklich ein, weshalb ich mich an die folgenden Momente nur verschwommen erinnern kann. Das Kuss war etwas besser als durchschnittlich, ich übernahm die Kontrolle. Er zog meinen Körper zu sich heran. Mein Herz raste, mein Körper fing an zu zittern. Dass ich auf Zehenspitzen stehen musste, war nicht von Vorteil. Eine Hand hatte ich in seinen Haaren vergraben, die andere lag auf seiner Brust, gegen die sein Herz laut hämmerte. Auch er zitterte am ganzen Körper. Es wurde intensiver und ich merkte, dass es sich nicht richtig anfühlte. Auf keiner von beiden Ebenen. Der Kuss war ganz gut, aber ich spürte keine prickelnde Chemie. Je weiter wir gingen, umso komplizierter wurde es. Ich wollte es hinter mich bringen. Seine Hand wanderte taillenabwärts und einige Momente später unterbrach ich den Kuss mit den Worten:"Ich glaube, das war keine gute Idee."
Im Nachhinein war es vielleicht nicht so charmant, aber ich sprach nur das aus, was ich gerade dachte.
Keine Ahnung, ob er darauf etwas geantwortet hat.
Ich spürte, dass er mich wieder küssen wollte. Er konnte sich fast nicht zurückhalten. Ich sah kurz Alision DiLaurentis vor meinem inneren Auge:"I know you wanna kiss me."
Kurz standen wir schweigend nebeneinander. Er riss sich so sehr zusammen. Oder versuchte es zumindest.
Er:"Puhh...WOW....ich hab keine Ahnung, was ich sagen soll....ich bin ehrlich gesagt ein bisschen sprachlos gerade..."
Ich:"Woher kam das denn?"
Er:"Wir haben darüber geredet."
Ich:"Wir haben auch über andere Sachen geredet."
Er:"Ich hätte es bereut, wenn ich es nicht getan hätte."
Ich:"Ach, was macht die Pandemie nur aus uns."
Er:"Nein, nicht die Pandemie."
Er zog mich in seine Arme und flüsterte meinen Spitznamen in meine Haare.
Er:"Boah, ich zittere am ganzen Körper."
Ich auch, aber ich sagte nichts. Die Mauern mussten stehen bleiben. Mein Herz schlug so laut gegen meinen Brustkorb, dass ich mir sicher war, dass er es hören musste. Das Blut rauschte in meinen Ohren.
Wir haben bestimmt noch ein paar Worte gewechselt, aber ich kann mich nicht erinnern. Wir standen noch ziemlich lange in dieser Umarmung.
Er:"Mach's gut, Sabse."
Ich:"Du auch. Lass dich nicht von den Frauen verarschen. Die sind böse." (natürlich sind nicht alle Frauen böse, aber im Rausch wusste ich nicht, was ich von mir gab)
Er löste sich aus der Umarmung, legte mir seine Hand an die Wange, sah mich mit einem komischen Blick an und sagte:"Du nicht."
Ich zog die Nase kraus und antwortete:"Doch, gerade ich."
Er zog mich wieder in seine Arme und murmelte:"Nein."
Er:"Bereu es nicht, okay?"
Ich:"Man sollte gar nichts bereuen."
Irgendwann lösten wir uns wieder von einander.
Er:"Zerdenk das jetzt nicht, okay?"
Fuck. Hatte ich in dieser Hinsicht zu viel von mir verraten? Kannte er mich dahingehend zu gut? Aber wer konnte schon wissen, dass er die platonische Grenze überschreiten würde?!
Ich massierte meine Nasenwurzel und sagte:"Ich versuch's."
Er suchte meinen Blick und sagte:"Nein, wirklich!"
Ich:"Nein, mach ich nicht."
Ha. Ich hatte schon damit angefangen. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben die platonische Grenze überschritten, einen Typ geküsst, der mich vor 10 Jahren gefragt hatte, ob ich mit ihm zum Schulball gehen wollte (https://honigbienchen.blogger.de/stories/1991732/), einen Typ, der mit meiner Ex-Besten-Freundin gut befreundet ist/war und von dem sie auch einmal was wollte. Ich habe Hendriks besten Freund geküsst, der mir vor vier Jahren seine Gefühle für mich gestanden hat. Ich habe einen Typen geküsst, mit dem ich seit acht Jahren ziemlich gut befreundet bin.
Ja moin. Ganz zu schweigen davon, dass ich Angst hatte, dass meine Nachbarn irgendetwas mit bekämen. Wir standen nicht wirklich im Dunkeln und die Jungs von gegenüber sind gerne spätabends noch wach.
Irgendwann verabschiedeten wir uns.
Ich:"Mach's gut. Ich wünsche dir einen guten Flug."
Er ging zu seinem Auto, drehte sich nochmal zu mir um und sagte:"Mach's gut."
Er blieb stehen und sah mir nach, wie ich in der Haustüre verschwand. Ich erwiderte seinen Blick nicht. Ich schloss die Türe, sperrte ab, löschte das Licht im Flur und lief die Stufen nach oben.
Mein Spiegelbild sah mich im Badezimmer halb verwirrt, halb lachend an. "Was zur Hölle ist gerade passiert?!", formten meine Lippen lautlos in den Spiegel. Ich steckte die Kopfhörer sein, hörte "Save your tears", "Lola Montez", "how to lose a guy", "Blaues Licht" und das Lied aus dem Musical, das ich mit meinen Freundinnen angesehen hatte. Nur nichts emotionales, um mich nicht in irgendetwas irrationales hineinzusteigern. Ich schminkte mich ab, putzte Zähne und legte mich ins Bett. Mein Herz schlug immer noch laut, meine Hände und Knie zitterten. Ich war mir sicher, dass ich nicht schlafen würde. Aber der Tag war lange gewesen, weshalb ich irgendwann doch einschlief. Trotzdem wachte ich nachts auf und analysierte die Situation.
Am nächsten Morgen wollte ich mein Handy nicht anmachen, weil ich mich vor einer Nachricht von ihm fürchtete. Mittags überwand ich mich schließlich dazu, dass meine Bedenken unbegründet waren. Keine Nachricht von ihm. Was sollte er auch groß sagen? Wie wir mit der Situation umgehen würden? Trotz seines Reifungsprozesses im letzten Jahr, ist er noch kein ausgewachsener Mann. Er war vermutlich ebenso verwirrt wie ich. Irgendwie habe ich im Gefühl, dass er den Kuss so schnell nicht vergessen würde.
Was mich verwirrt ist lediglich die Frage, woher das kam. Er hatte sie zwar damit beantwortet, dass wir darüber geredet hätten und ich gehe davon aus, dass er das Leben im Moment damit meint. Aber ich habe es so gar nicht kommen sehen. Gab es zuvor irgendwelche Anzeichen? Okay, er fand mich in der Schule süß, aber da waren wir 14 Jahre alt! Jetzt sind wir zehn Jahre älter. Felix hatte zwar vor ein paar Jahren mal erzählt, dass Addi einen Kommentar in die Richtung abgelassen hätte, der aber nur kallypygischer Natur war. Ich hatte ihn seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Bei unserem letzten Treffen vor zwei Wochen war ich angetrunken und kann im Nachhinein wohl sagen, dass ich Körperkontakt gesucht habe. Als mir kalt war, gab er mir zwar seine Jacke, aber ich hatte eher das Gefühl, dass er etwas distanziert war. Wobei ich das angesichts meines Pegels nicht sicher sagen kann. Und auch bei unseren jetzigen Treffen habe ich keine Signale gesendet. Ich sah nicht einmal besonders schick aus. Mein Makeup trug ich schon seit sechs Uhr morgens, weil ich arbeiten musste. Meine Haare hingen runter. Ich trug meinen schwarzen Rollkragenpulli, der absolut keine Signale sendet. Okay, ich trug eine enge Jeans und hohe Schuhe, aber einen knielangen Mantel, der meine Figur verdeckte. Ich kann mich nicht erinnern, geflirtet zu haben. Ich meine, ich dachte, wir bewegen uns auf platonischem Terrain. Okay, wir machen unsere sexuellen Witzchen, aber die machen wir schon seit der Schulzeit. Das hat nichts zu bedeuten. Auf den Alkohol kann ich es auch nicht schieben, weil er nur ein Helles getrunken hat.
Wollte er mich schon im Auto küssen, als ich diese komische Aura spürte?
Wahrscheinlich war es wirklich nur ein Impuls, eine durch die Pandemie ausgelöste Lust, die durch unsere Gespräche über das Im-Moment-leben gezündet wurde.
Und jetzt stehe ich vor der Frage, wie ich mit dieser Situation umgehen soll.
Der Stolz in mir macht natürlich das, was er immer tut. Die Mauern stehen, ich melde mich nie.
Aber eigentlich sind Addi und ich befreundet. Bei meinen Freunden melde ich mich eigentlich. Soll ich so tun als wäre der Kuss nie passiert oder soll ich versuchen, damit umzugehen?
Ich tendiere dazu, mich nicht zu melden.
Wir haben gesagt, dass es unter uns bleiben wird. Dass ich es nicht einmal Ina oder Lene erzähle, ist wirklich ungewöhnlich für mich. Aber das sind genau zwei Personen, die ebenso gut mit Addi befreundet sind. Das würde alles verkomplizieren. Vielleicht rede ich irgendwann mit Franzi darüber. Sie ist mehr außen vor, hat Addi nur ein einziges Mal getroffen. Mal sehen.
Ursprünglich wusste ich nicht, wie ich diesen Post schreiben sollte. Aber ich merkte, dass ich versuchte, das Geschehene zu verdrängen und das ist nicht gut. Ich muss damit umgehen. Ich habe noch nicht ganz heraus gefunden wie, obwohl ich seit über drei Stunden hier sitze und schreibe und meine "femme fatale"-Playlist schon fast einmal durchgelaufen ist.
Teilweise dachte ich daran, es wie ein Mann zu sehen. Wäre ich ein Mann und Addi eine Frau, die zurückgefahren wäre, um mich zu küssen, bevor sie auf unbestimmte Zeit in die USA zurück geht, würde ich mich geil fühlen. Es würde mein Ego polieren, dass ich so eine Wirkung habe. Ich würde vor meinen Freunden damit protzen. Ich würde mich überlegen fühlen, weil ich die Oberhand hatte. Und ich würde es absolut nicht hinterfragen, sondern einfach den Moment genießen.
Aber ich bin eine alles zerdenkende Frau.
~I can tell what you're thinking 'bout, looking at me like "Oh wow!"~
Die letzten beiden Tage habe ich versucht, die Geschehnisse zu analysieren und gleichzeitig zu verdrängen.
Vielleicht versuche ich einfach in chronologischer Reihenfolge aufzuzählen, was passiert ist.
Addi holte mich gegen halb neun ab. Alle anderen waren nicht in der Stadt, krank oder beschäftigt, weshalb nur wir beide essen gingen. Die Gaststätte, in die wir eigentlich gehen wollten, hatte unerwarteterweise geschlossen, ebenso wie unser Backupplan. Also fuhren wir in Richtung Stadt, kamen an einem Asiaten vorbei, zu dem wir dann zum Essen gingen.
Es war unter der Woche und nicht gerade früh, weshalb wir die einzigen im Lokal waren. Für einen Bruchteil der Sekunde musste ich an die Szene aus "Groupies bleiben nicht zum Frühstück" denken, an der sie spätabends asiatisch essen.
Wir teilten uns eine Vorspeise, die ziemlich reichhaltig war und mir war da schon klar, dass ich mein Hauptgericht nicht schaffen würde.
Wir redeten ziemlich viel.
Addi und ich sind uns in einigen Punkten sehr ähnlich. Wir lieben beide Geschichte, überdenken alles viel zu sehr, sind vielleicht alte Seelen und Kritiker sozialer Medien und haben ein Faible für literarische Epochen. Wir fingen an, unsere Charakterzüge anhand von Epochen zu analysieren. Als ich 16 Jahre alt war, dachte ich immer, ich würde aufgrund meiner hohen Mauern der Aufklärung am nächsten kommen. Ich blockte jeden ab, der mir zu nah kam. Aber eigentlich war ich viel zu sensibel und emotional für die Aufklärung. Mein Ideal war immer die Klassik. Ein Gleichgewicht zwischen allem. Zeitlos, friedlich. Bin ich schon dort? Vermutlich noch nicht ganz. Ich liebe den sturm- und drängerischen Freiheitsgedanken, den romantischen Optimismus sowie die Hingabe zur Religion und die aufklärerische Nutzung des Verstandes als Grundlage jeden Handelns.
Wir gingen ziemlich in die Tiefe bei unserer Analyse und Selbstcharakterisierung. Ich war ziemlich offen und sagte ihm alles, was ich hier auch schreibe. Inklusive, dass ich für die reine Aufklärung wohl ein bisschen zu sensibel war.
Was das ein Fehler?
Aber wir sind doch Freunde, da erzählt man sich doch vieles. Ohne Filter, mit weniger Mauern.
Wir hatten aber auch über andere Themen tiefgründige Gespräche. Seine Ex aus den USA hatte ihm wieder geschrieben (so wie ich es vorher gesagt hatte), ihn angerufen und dann blockiert. Ich warnte ihn, dass das noch nicht vorbei wäre. Sie würde wieder kommen.
Seine Ex hatte ihn ziemlich verletzt. Sie wollte nichts ernstes, schlief mit seinem besten Freund, als sie dachte, dass es etwas mit einer anderen hätte, kommunizierte nicht, kreierte Drama und schob alles auf ihr Trauma. Es war auch die intensivste Beziehung, die Addi jemals geführt hat.
Wir sprachen wieder viel darüber, über Selbstwertgefühl und Dynamiken in Beziehungen. Er fragte mich nach dem Abend im Club, ich erzählte von der hohen Frauenquote und den jungen Männern. Nicht, dass ich dagegen was hätte, aber sie sind oft unsicherer und kommen weniger in die Gänge. Ich sprach davon, dass ich die Regeln nicht ändern würde, weil "die Eizelle auch nicht zum Spermium schwimmt."
Ich erwähnte, dass Brigitte Bardots dritter Ehemann zu ihrer Verlobung 1000 Rosen per Helikopter über ihrem Haus abwarf. Alles darunter will ich nicht.
Addi grinste:"500 Rosen reichen auch?"
Ich:"Es geht nicht um das Geld. Es geht um den Aufwand und die Mühe, die man sich macht. Ich hätte viel lieber einen selbstgepflückten Blumenstrauß als ein teures Bouquet, das der Assistent besorgt hat. Ich würde lieber zu einem Picknick gehen, das jemand vorbereitet und organisiert hat, als in einem teuren Restaurant zu sitzen."
Ich wäre lieber mein ganzes Leben lang alleine, als meine Standards runterzuschrauben. Wir sprachen auch davon, was unsere Standards wären. Neben den klassischen wie Empathie und Loyalität steht bei mir Holzhacken und die lustigste oder zweitlustigste Person der Welt zu sein auf meiner Liste. Was sehr schwierig sein dürfte, weil Nummer eins von Bully Herbig und Nummer zwei von niemand anderem als mir selbst belegt wird. Weil ich liebend gerne über meine eigenen Witze lache.
Scheidungsgründe waren für mich unter anderem Rennradfahren, eine Ablehnung des Tempolimits und die Annahme einer anderen Todesursache meines Lieblingskönigs.
Bezüglich letztem ließ ich auch vor zwei Wochen einen Typen abblitzen, was Addi nicht glauben konnte.
Als Addi einmal vergaß, was er sagten wollte, forderte er mich auf, irgendetwas interessantes zu sagen. Ich erwähnte den Fakt, dass Hemmingway als Glücksbringer immer eine Kastanie in der Manteltasche hatte. Zufällig hatte ich auch eine in meiner Manteltasche (unabhängig von Hemmingway, einfach nur weil das Kind in mir den Herbst liebt), was Addi ebenso überraschte wie die Reiszwecken in meiner Tasche.
Neben ernsten und kultivierten Gesprächen hatten wir auch viel zu lachen. Unser Humor ähnelt oft dem von 14-jährigen Jungs, die Zweideutigkeit urkomisch finden.
Wir sprachen auch viel über seine Familie und seine Rückkehr in die USA.
Nachdem wir bezahlt hatten, brachte uns die Kellnerin noch Shots und Glückskekse, deren Sprüche wir uns gegenseitig vorlasen.
Wir verließen das Lokal, er fuhr mich nach Hause. Auf dem Weg fuhren wir an unserer ehemaligen Schule vorbei. Im Lehrerzimmer brannte sogar noch Licht, aber die Tore waren verschlossen, weshalb wir nicht reinfuhren. Wir haben teilweise ähnliche Erinnerungen an unsere Schulzeit, wobei meine etwas schöner sind als seine. Trotzdem hatte auch ich meine Schwierigkeiten, weshalb ich meine Mittelfinger erhob.
Durch den Nebel fuhr er mich nach Hause.
Er parkte und wie immer blieben wir noch im Auto sitzen und redeten so lange, bis er erneut die Lüftung anmachen musste, weil die Schreiben beschlugen. Wir redeten über alles mögliche. Nicht jugendfreie Themen, inspirierende Zitate, seine Familie, unsere Heimat, seine Zeit in den USA, darüber, dass Moral und Empathie einem oft einen Strich durch die Rechnung machen können, wie wir alles zerdenken und mehr im Moment leben sollten.
Einmal sagte ich etwas, ich habe keine Ahnung mehr was es war. Ich glaubte es war etwas nach dem Motto, dass Freiheit in der Zurückhaltung liegt. Ich spürte eine komische Aura im Auto. Addi wich meinem Blick aus, sagte nur mit einem leichten Lächeln:"Ja, das stimmt, da hast du vollkommen recht."
Irgendwann umarmte ich ihn zum Abschied und sagte, dass er sich jederzeit melden könne, wenn er jemandem zum Reden bräuchte. In den ersten Wochen in den USA ging es ihm nicht besonders gut, aber Lene und ich erfuhren erst von Hendrik davon. Das sagte ich ihm auch. Er gab es zurück und meinte, ich könne mich auch jederzeit melden. Ausgerechnet ich, diejenige, die alles mit sich selbst ausmacht.
Ich nahm mein Hühnchen süßsauer, das ich mir einpacken lassen habe, stieg aus seinem Auto aus und sperrte die Haustüre auf. Mittlerweile war es halb eins. Ich zog meine Schuhe und meinen Mantel aus, stellte das Hühnchen in den Kühlschrank und ging ins Badezimmer, um mich abzuschminken. Gerade als ich meine Hände gewaschen hatte, sah ich einen Anruf von Addi auf meinem auf lautlos gestellten Handy, das ich ins Badezimmer mitgenommen hatte, um meine tiefsinnige Musik zu hören.
Ich nahm den Anruf an, in der Annahme, dass ich etwas im Auto vergessen hätte.
Ich:"Ja?"
Er:"Hey, kannst du nochmal kurz raus kommen?"
Ich:"Ja, warte, ich geh kurz runter."
Ich nahm meinen Schlüssel, ging runter und schlüpfte schnell in meine einstig weißen Sneaker.
Ich öffnete die Türe, Addi tat einen Schritt herein und auf mich zu. Er legte seine Hand auf meine rechte Wange und kam mit seinem Gesicht bedenklich nahe.
Ich zog verwirrt die Augenbrauen zusammen, packte ihn an der Seite von seinem Hals und schob ihn aus dem Flur nach draußen, um niemanden zu wecken. Ich schloss die Haustüre hinter uns.
Ich - vollkommen verwirrt -:"Addi, was machst du?"
Er:"Dich küssen?"
Ich:"Was?"
Er:"Dich küssen."
Ich:"Wieso?"
Er:"Weil ich es bereuen würde, wenn ich es nicht getan hätte."
Ich:"Woher kommt das denn jetzt auf einmal?"
Er:"Weil wir darüber geredet haben."
Ich weiß nicht, was mich geritten hat. Vielleicht meine Hormone, vielleicht, weil ich im Moment leben wollte, ohne alles zu zerdenken, vielleicht wollte ich seinen Mut, noch einmal zurückzufahren und so vor meiner Haustür zu stehen, belohnen.
Ich:"Aber das muss unter uns bleiben."
Er:"Ja."
Ich zuckte mit den Schultern, sagte "Okay" und zog ihn zu mir heran. Der Adrenalinrausch setzte augenblicklich ein, weshalb ich mich an die folgenden Momente nur verschwommen erinnern kann. Das Kuss war etwas besser als durchschnittlich, ich übernahm die Kontrolle. Er zog meinen Körper zu sich heran. Mein Herz raste, mein Körper fing an zu zittern. Dass ich auf Zehenspitzen stehen musste, war nicht von Vorteil. Eine Hand hatte ich in seinen Haaren vergraben, die andere lag auf seiner Brust, gegen die sein Herz laut hämmerte. Auch er zitterte am ganzen Körper. Es wurde intensiver und ich merkte, dass es sich nicht richtig anfühlte. Auf keiner von beiden Ebenen. Der Kuss war ganz gut, aber ich spürte keine prickelnde Chemie. Je weiter wir gingen, umso komplizierter wurde es. Ich wollte es hinter mich bringen. Seine Hand wanderte taillenabwärts und einige Momente später unterbrach ich den Kuss mit den Worten:"Ich glaube, das war keine gute Idee."
Im Nachhinein war es vielleicht nicht so charmant, aber ich sprach nur das aus, was ich gerade dachte.
Keine Ahnung, ob er darauf etwas geantwortet hat.
Ich spürte, dass er mich wieder küssen wollte. Er konnte sich fast nicht zurückhalten. Ich sah kurz Alision DiLaurentis vor meinem inneren Auge:"I know you wanna kiss me."
Kurz standen wir schweigend nebeneinander. Er riss sich so sehr zusammen. Oder versuchte es zumindest.
Er:"Puhh...WOW....ich hab keine Ahnung, was ich sagen soll....ich bin ehrlich gesagt ein bisschen sprachlos gerade..."
Ich:"Woher kam das denn?"
Er:"Wir haben darüber geredet."
Ich:"Wir haben auch über andere Sachen geredet."
Er:"Ich hätte es bereut, wenn ich es nicht getan hätte."
Ich:"Ach, was macht die Pandemie nur aus uns."
Er:"Nein, nicht die Pandemie."
Er zog mich in seine Arme und flüsterte meinen Spitznamen in meine Haare.
Er:"Boah, ich zittere am ganzen Körper."
Ich auch, aber ich sagte nichts. Die Mauern mussten stehen bleiben. Mein Herz schlug so laut gegen meinen Brustkorb, dass ich mir sicher war, dass er es hören musste. Das Blut rauschte in meinen Ohren.
Wir haben bestimmt noch ein paar Worte gewechselt, aber ich kann mich nicht erinnern. Wir standen noch ziemlich lange in dieser Umarmung.
Er:"Mach's gut, Sabse."
Ich:"Du auch. Lass dich nicht von den Frauen verarschen. Die sind böse." (natürlich sind nicht alle Frauen böse, aber im Rausch wusste ich nicht, was ich von mir gab)
Er löste sich aus der Umarmung, legte mir seine Hand an die Wange, sah mich mit einem komischen Blick an und sagte:"Du nicht."
Ich zog die Nase kraus und antwortete:"Doch, gerade ich."
Er zog mich wieder in seine Arme und murmelte:"Nein."
Er:"Bereu es nicht, okay?"
Ich:"Man sollte gar nichts bereuen."
Irgendwann lösten wir uns wieder von einander.
Er:"Zerdenk das jetzt nicht, okay?"
Fuck. Hatte ich in dieser Hinsicht zu viel von mir verraten? Kannte er mich dahingehend zu gut? Aber wer konnte schon wissen, dass er die platonische Grenze überschreiten würde?!
Ich massierte meine Nasenwurzel und sagte:"Ich versuch's."
Er suchte meinen Blick und sagte:"Nein, wirklich!"
Ich:"Nein, mach ich nicht."
Ha. Ich hatte schon damit angefangen. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben die platonische Grenze überschritten, einen Typ geküsst, der mich vor 10 Jahren gefragt hatte, ob ich mit ihm zum Schulball gehen wollte (https://honigbienchen.blogger.de/stories/1991732/), einen Typ, der mit meiner Ex-Besten-Freundin gut befreundet ist/war und von dem sie auch einmal was wollte. Ich habe Hendriks besten Freund geküsst, der mir vor vier Jahren seine Gefühle für mich gestanden hat. Ich habe einen Typen geküsst, mit dem ich seit acht Jahren ziemlich gut befreundet bin.
Ja moin. Ganz zu schweigen davon, dass ich Angst hatte, dass meine Nachbarn irgendetwas mit bekämen. Wir standen nicht wirklich im Dunkeln und die Jungs von gegenüber sind gerne spätabends noch wach.
Irgendwann verabschiedeten wir uns.
Ich:"Mach's gut. Ich wünsche dir einen guten Flug."
Er ging zu seinem Auto, drehte sich nochmal zu mir um und sagte:"Mach's gut."
Er blieb stehen und sah mir nach, wie ich in der Haustüre verschwand. Ich erwiderte seinen Blick nicht. Ich schloss die Türe, sperrte ab, löschte das Licht im Flur und lief die Stufen nach oben.
Mein Spiegelbild sah mich im Badezimmer halb verwirrt, halb lachend an. "Was zur Hölle ist gerade passiert?!", formten meine Lippen lautlos in den Spiegel. Ich steckte die Kopfhörer sein, hörte "Save your tears", "Lola Montez", "how to lose a guy", "Blaues Licht" und das Lied aus dem Musical, das ich mit meinen Freundinnen angesehen hatte. Nur nichts emotionales, um mich nicht in irgendetwas irrationales hineinzusteigern. Ich schminkte mich ab, putzte Zähne und legte mich ins Bett. Mein Herz schlug immer noch laut, meine Hände und Knie zitterten. Ich war mir sicher, dass ich nicht schlafen würde. Aber der Tag war lange gewesen, weshalb ich irgendwann doch einschlief. Trotzdem wachte ich nachts auf und analysierte die Situation.
Am nächsten Morgen wollte ich mein Handy nicht anmachen, weil ich mich vor einer Nachricht von ihm fürchtete. Mittags überwand ich mich schließlich dazu, dass meine Bedenken unbegründet waren. Keine Nachricht von ihm. Was sollte er auch groß sagen? Wie wir mit der Situation umgehen würden? Trotz seines Reifungsprozesses im letzten Jahr, ist er noch kein ausgewachsener Mann. Er war vermutlich ebenso verwirrt wie ich. Irgendwie habe ich im Gefühl, dass er den Kuss so schnell nicht vergessen würde.
Was mich verwirrt ist lediglich die Frage, woher das kam. Er hatte sie zwar damit beantwortet, dass wir darüber geredet hätten und ich gehe davon aus, dass er das Leben im Moment damit meint. Aber ich habe es so gar nicht kommen sehen. Gab es zuvor irgendwelche Anzeichen? Okay, er fand mich in der Schule süß, aber da waren wir 14 Jahre alt! Jetzt sind wir zehn Jahre älter. Felix hatte zwar vor ein paar Jahren mal erzählt, dass Addi einen Kommentar in die Richtung abgelassen hätte, der aber nur kallypygischer Natur war. Ich hatte ihn seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Bei unserem letzten Treffen vor zwei Wochen war ich angetrunken und kann im Nachhinein wohl sagen, dass ich Körperkontakt gesucht habe. Als mir kalt war, gab er mir zwar seine Jacke, aber ich hatte eher das Gefühl, dass er etwas distanziert war. Wobei ich das angesichts meines Pegels nicht sicher sagen kann. Und auch bei unseren jetzigen Treffen habe ich keine Signale gesendet. Ich sah nicht einmal besonders schick aus. Mein Makeup trug ich schon seit sechs Uhr morgens, weil ich arbeiten musste. Meine Haare hingen runter. Ich trug meinen schwarzen Rollkragenpulli, der absolut keine Signale sendet. Okay, ich trug eine enge Jeans und hohe Schuhe, aber einen knielangen Mantel, der meine Figur verdeckte. Ich kann mich nicht erinnern, geflirtet zu haben. Ich meine, ich dachte, wir bewegen uns auf platonischem Terrain. Okay, wir machen unsere sexuellen Witzchen, aber die machen wir schon seit der Schulzeit. Das hat nichts zu bedeuten. Auf den Alkohol kann ich es auch nicht schieben, weil er nur ein Helles getrunken hat.
Wollte er mich schon im Auto küssen, als ich diese komische Aura spürte?
Wahrscheinlich war es wirklich nur ein Impuls, eine durch die Pandemie ausgelöste Lust, die durch unsere Gespräche über das Im-Moment-leben gezündet wurde.
Und jetzt stehe ich vor der Frage, wie ich mit dieser Situation umgehen soll.
Der Stolz in mir macht natürlich das, was er immer tut. Die Mauern stehen, ich melde mich nie.
Aber eigentlich sind Addi und ich befreundet. Bei meinen Freunden melde ich mich eigentlich. Soll ich so tun als wäre der Kuss nie passiert oder soll ich versuchen, damit umzugehen?
Ich tendiere dazu, mich nicht zu melden.
Wir haben gesagt, dass es unter uns bleiben wird. Dass ich es nicht einmal Ina oder Lene erzähle, ist wirklich ungewöhnlich für mich. Aber das sind genau zwei Personen, die ebenso gut mit Addi befreundet sind. Das würde alles verkomplizieren. Vielleicht rede ich irgendwann mit Franzi darüber. Sie ist mehr außen vor, hat Addi nur ein einziges Mal getroffen. Mal sehen.
Ursprünglich wusste ich nicht, wie ich diesen Post schreiben sollte. Aber ich merkte, dass ich versuchte, das Geschehene zu verdrängen und das ist nicht gut. Ich muss damit umgehen. Ich habe noch nicht ganz heraus gefunden wie, obwohl ich seit über drei Stunden hier sitze und schreibe und meine "femme fatale"-Playlist schon fast einmal durchgelaufen ist.
Teilweise dachte ich daran, es wie ein Mann zu sehen. Wäre ich ein Mann und Addi eine Frau, die zurückgefahren wäre, um mich zu küssen, bevor sie auf unbestimmte Zeit in die USA zurück geht, würde ich mich geil fühlen. Es würde mein Ego polieren, dass ich so eine Wirkung habe. Ich würde vor meinen Freunden damit protzen. Ich würde mich überlegen fühlen, weil ich die Oberhand hatte. Und ich würde es absolut nicht hinterfragen, sondern einfach den Moment genießen.
Aber ich bin eine alles zerdenkende Frau.
~I can tell what you're thinking 'bout, looking at me like "Oh wow!"~
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