Dienstag, 28. Januar 2020
It's new, the shape of your body, it's blue, the feeling I've got
Du siehst doch die Kippe in seinem Mund und sagst "Hi".
Wenn das nicht auf mich zutrifft, dann weiß ich auch nicht.
Seit Silvester war es ziemlich stressig. Ich musste meine Präsentation für die Arbeit vorbereiten, die ich im Sommer geschrieben habe. Es hat mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich gedacht hätte.
Ich hab schon Präsentationen vor über 100 Leuten auf englisch gehalten, aber das hier war die erste Präsentation die in die Examensnote zählt. Deshalb war ich sehr nervös. Ich steh nicht gerne im Mittelpunkt, ich rede nicht gerne frei und hab unzählige Augen auf mir. In dieser Hinsicht bin ich wirklich sehr introvertiert.
Die Veranstaltung ging insgesamt über drei Tage. Mein Herz hörte am ersten Tag schon gar nicht auf zu rasen, obwohl ich erst am nächsten Tag dran sein würde. Die vielen Menschen schüchternen mich ein, abernoch mehr Angst hatte ich vor den Fragen, die der Prof stellen würde. An sich wirkt er sehr nett, aber er kann bestimmt auch anders. Vor allem, wenn man nicht seiner Meinung ist.
Die Präsentationen waren wirklich gut. Als ich heim kam, raste mein Herz immer noch und ich war sehr aufgekratzt. Ich gab meiner Präsentation den letzten Schliff, druckte die Handouts aus, präsentierte sie ein letztes Mal und als um elf Uhr abends eine ganze Packung Kekse. Als ich im Bett lag, raste mein Herz immer noch und es fiel mir schwer einzuschlafen.
Als er Wecker um halb fünf klingelte, war ich nicht bereit. Ich trank keine Kaffee, weil ich nicht wollte, dass meine noch mehr zitterten als sie es eh schon tun würden. Ich frühstückte, packte meine Sachen und fuhr los. Ich war die erste, die da war, abgesehen von einerwissenschaftlichen Mitarbeiterin. Sie beruhigte mich ein wenig. Die Präsentationen vor mir waren auch gut. In der Pause vor meiner Präsentation nahm ich sieben Rescuetropfen auf der Toilette, obwohl auf der Packung stand, dass man höchstens vier nehmen sollte. In der Präsentation danach merkte ich, wie ich ein wenig müde wurde, aber als ich dran war, schien schon wieder alles abgebaut zu sein, so wie mein Herz raste. Ich war so nervös. Ich begann meine Präsentation. Ich achtete auf meine Körperhaltung, meine Handbewegungen und auf Augenkontakt. Wie die wissenschaftliche Mitarbeiterin zuvor gesagt hatte, schwand meine Nervosität je länger ich dort vorne stand und redete. Ich gestaltete meine Präsentation sehr mitreißend, weshalb es viele Fragen danach gab. Ich beantworte sie soweit gut. Eine Frage des Professors konnte ich nicht beantworten. Aber er war scheinbar noch so in meinem Thema drin, dass er vergaß, die Diskussion einzuleiten und stattdessen die Mittagspause ankündigte.
Völlig fertig und apathisch packte mich meine Sachen zusammen. Eine Kommolitonin gab mir die restlichen Handouts mit dem Kommentar "Sau geile Präsentation, wirklich sau geil!" zurück.
Auch Julia sagte mir, dass sie es richtig gut fand und der Prof scheinbar "beeindruckend" gemurmelt hätte. Ich war fix und fertig mit der Welt. Erleichtert, dass es vorbei war, aber unsicher, was dabei rauskommen würde. Das Feedback war gut, aber die Note gibt im Endeffekt der Prof.
Julia und ich gingen runter zur U-Bahn, um uns beim Bäcker etwas zum Essen zu holen. Erst auf der Treppe fiel mir auf, dass ich gar keine Diskussion geführt hatte. War es dem Prof aufgefallen?
In der Schlange vom Bäcker tippte mir jemand auf die Schulter. Anna Lena. Sie hatte die Präsentation vor mir gehalten, zu einem ähnlichen Thema wie meinem. Völlig erleichtert umarmte ich sie erst mal. Wir kauften uns etwas zu essen und setzten uns in einer größeren Gruppe zu frühlingshaften Temperaturen in den kleinen Park vor dem Gebäude. Die Mädels waren wirklich alle so lieb. Wir kauften uns noch einen Kaffee, dann ging es weiter mit den Präsentationen.
Ich dachte, dass ich am Ende des Tages fix und fertig sein und sofort schlafen würde. Ich konnte nicht schlafen. Ich war immer noch zu aufgekratzt. Ich machte Sport, um meinen Körper zu ermüden, aber es half nicht wirklich. Ich schlief sehr unruhig und schlecht, wachte ständig auf.
Am nächsten Tag packte ich meine Sachen und fuhr zum letzten Tag der Präsentationen.
Auch die waren gut.
Danach konnte ich mich endlich entspannen. Ich fuhr heim und schlief.
Sonntags feierte Chris seinen Geburtstag. Ich kam, blieb aber nicht lange, weil ich immer noch total fertig war. Trotzdem war es sehr schön.
Pietro hat mich schon in meiner Vorbereitungswoche geschrieben, ob ich Zeit hätte, aber ich sagte ihm ab.
Über Weihnachten war er irgendwie zu meinem emotionalen Fluchtauto geworden, um mich vor der Präsentation abzulenken. Nach meiner Präsentation war er mir so egal.
Ich hatte nicht mal Lust ihn zu sehen. Dann wieder schon. Wir verabredeten uns für vorletzten Dienstag.
Diese Stimmungsschwankungen, mein Heißhunger auf Schokolade und meine Verfrorenheit hätten mir zu denken geben sollen. Ich hätte sie später bekommen sollen, aber der Stress hatte wohl meinen Zyklus beeinflusst. Ich bekam am Dienstag Nachmittag meine Tage.
Ich war absolut unentschlossen, ob ich ihm absagen sollte oder es ihm erst sagen sollte, wenn er hier war. #wastehistime2020. Letzteres war definitiv mein teuflisches Ich.
Irgendwie hatte ich so gar keinen Bock auf ihn. Es war mir auch egal, wenn er jetzt aus meinem Leben verschwinden würde. Ich hatte definitiv die Oberhand.
Ich fragte Ina um Rat, sie meinte er hinge gar von mir ab. Ich entschloss mich, ihm nicht abzusagen. Ich wollte mich betrinken und rumknutschen.
Er kam zehn Minuten zu spät. Ich hörte gerade "it's not u it's me" und trocknete Geschirr ab. Ich öffnete ihm die Tür, zwei Küsschen auf die Wange. Während ich mein Frühstück für den nächsten Tag vorbereitete, erzählte er mir, dass er zuerst an einer falschen Tür geklingelt hatte.
Er sah die Wärmflasche auf meiner Couch und nahm sie in die Hand.
Er:"Are you on your period?"
Ich:"Yeah."
Er:"Really?"
Ich:"Yeah, I got it fifteen minutes before you got here."
Lüge.
Er grinste und sagte:"It's fine."
Ich fragte, was er trinken wollte und wie immer entschieden wir uns für Wodka und Saft. Er wollte sich ebenso sehr betrinken wie ich mich. Auch er hatte kein Leben in den letzten Wochen gehabt. Er würde auch in nächster Zeug keins haben, da seine Prüfungen anstanden.
Wir fingen an zu trinken und Ring of fire zu spielen. Mit Unterbrechungen.
Einmal entdeckte er ein Buch in dem Fach unter meinem Couchtisch. Tintenherz. Auf Nachfrage erklärte ich ihm, dass es früher mein Lieblingsbuch gewesen war, auch wenn ich nicht wirklich viel mit Fantasy anfangen konnte. Er las sich die Zusammenfassung hinten durch, die natürlich auf deutsch war, weshalb et nichts verstand - außer Capricorn.
Er:"Doesn't it mean...?" Ihm fehlte das Wort.
Ich:"He's the villian. But it's also a zodiac sign."
Er:"Exaclty! So you're on Team Meggie?"
Ich:"No. I mean she's nice, but I've always been in love with Staubfinger."
Er:"Why?"
Ich:"In my opinion this is the best character an author ever created."
Er:"Really? Why?"
Ich:"You love him and you hate him. He does some bad things but you understand why he does them. He actually has a good heart."
Er:"This is what every girl wants. A bad boy with good intentions."
Ich:"Not if you've been with a bad guy for a long time."
Er:"Have you? How long?"
Ich:"Almost two years."
Er:"Why was he bad?"
Ich:"He wasn't nice to people, he talked shit about his friends behind their back and he took a lot of drugs."
Er:"What kind of drugs?"
Ich zählte die auf, von denen ich es sicher wusste, begann bei Koks und endete mit Benzos.
Er:"And you stayed with him?"
Ich:"I didn't know. He told me he would only smoke weed, but people talk. His friends told me that he takes insane amounts of drugs. That's why I'm just done with bad guys."
Wie widersprüchlich. Der nächste böse Junge saß hier neben mir auf der Couch.
Er bat mich Musik anzumachen. Ich machte meine Musik an und es war mir so egal, ob er sie mochte oder nicht.
Er nahm meine Polaroidkamera und wollte ein Bild von mir machen, der Film war aber leer. Nachdem ich endlich herausgefunden hatte, wie man den austauscht - betrunken ist das echt nicht so einfach - hatte er schon meinen Eimer Cocktailtomaten entdeckt. Er sagte, dass man sie nicht waschen sollte, wenn man sie nicht sofort essen wollte und dass man sie im Kühlschrank aufbewahren muss. Äh nein, da verlieren sie ihren Geschmack.
Er machte ein Spiel daraus, sich eine Tomate zu nehmen, bis zur Tür zu gehen und von dort aus die Tomate in den Eimer zu werfen. Er traf jedes Mal. Ich schoss ein Polaroid von ihm.
Irgendwann saßen wir wieder auf der Couch und er fing wieder damit an, dass er gerne eine Beziehung hätte.
Er:"You know, in Milan I didn't want a relationship, but now that I'm here I do. It's so weird. And also kind of hopeless becaude I'm gonna be here for two months and then in Rotterdam. Nobody's gonna want that."
Ich:"Maybe you should just get a sex doll."
Wir redeten ein wenig über Sexpuppen, dann kam er wieder auf das Thema Beziehung zu sprechen. Er vermisse die Routine, die Sicherheit und nach einem langen schlechten Tag zu jemandem nach Hause zu kommen. Er hatte mir schon mal erzählt, dass er nicht wirklich glücklich war, weshalb ich ihm erklärte, dass er so eine koabhängige Beziehung kreieren würde, wenn er nicht alleine glücklich ist. Ich versuchte ihm auch das Prinzip des emotionalen Fluchtwagens zu erklären, aber das hat er nicht wirklich verstanden. Ich hätte ihm direkt Shallons Videos zeigen sollen.
Er fragte, ob ich tanzen wollte und ob ich dazu ein langsames Lied anmachen konnte.
Ich war schon ganz gut dabei. Das einzige Lied, das mir in den Sinn kam war "Endlich sehe ich das Licht" aus Rapunzel. (Übrigens: Ist Flynn Rider nicht der heißeste Disney Prinz? Oder zeigt das nur wieder meinen schlechten Männergeschmack?)
Das Lied begann, ich legte meine linke Hand in seine und meine Rechte auf seine Schulter. Wir  tanzten auf sehr engem Raum, aber dank meines Alkoholpegels war ich völlig von der Musik eingenommen.
Er:"This is very romantic. You should kiss me."
Entschuldige mal, wer ist hier der Mann?
Ich:"No! YOU should kiss me."
Entschuldige mal, wo war meine Hartnäckigkeit?
Er:"Let's meet in the middle."
Ich:"Meet me halfway."
Ich stellte mich auf meine Zehenspitzen und wir küssten uns. Es war sehr süß und sanft, im Hintergrund ertönte "was ich seh bist duuu". Ich wartete darauf, dass es wild und leidenschaftlich wurde, so wie sonst, aber das wurde es nicht. Warum küsste er mich so?
Irgendwann saßen wir wieder auf der Couch. Die Themen waren total durcheinander.
Er:"Did you ever take drugs?"
Ich:"No, I've never even smoked a cigarette."
Er:"Wow, you're so pure."
Ich:"I know. Can you see my halo?"
Er:"How do you even know that word? Oh yeah, you're christian."
Ich verschwieg, dass ich das Wort aus anderen Gründen kannte.
Er wollte erneut tanzten. Ich nahm die imaginäre Schleppe meines Kleides, hob sie hoch und machte einen Knicks vor ihm. Er drückte einen Kuss auf meinen rechten Handrücken und zog mich in die Tanzposition. Wir wogen uns zu "Tequila does" zur Musik. Ich warf meinen Kopf zurück und fühlte es. Er liebt mich nicht wie es der Tequila tut, niemand kann das.
Er:"We're acutally pretty good at this."
Ich:"Yeah, I'm not stepping on your feet."
In dem Moment stieg ich ihm auf die Füße.
Plötzlich lief "Side Nigga" im Hintergrund, womit er gar nicht einverstanden war. Er setzte sich auf die Couch, nahm mein Handy und wollte das Lied ändern. Wie frech. Er fragte nach meinem Passwort und ich versuchte es ihm weg zunehmen. Wir kämpften um mein Handy und plötzlich drehte er mich so, dass ich in der Baby-Position in seinen Armen auf seinem Schoß lag. Er sah zu mit herunter und küsste mich. Wieder sanft und zärtlich. Er machte nicht mal Anstalten mich irgendwie unangemessen anzufassen.
Nicht mit mir. Ich setzte mich auf und belagerte seinen Schoß. Endlich kam ein wenig Feuer in die Sache. Es war nicht ganz so wild wie sonst, ich vermute, dass er sich zurück hielt, weil er wusste, dass es heute nicht allzu weit gehen würde.
Plötzlich lief "Fat botttom girls" und zu meiner Überraschung sagte er, dass er dieses Lied liebte. Same Schnucki.
Wir machten weiter rum.
Ich glaube, dass er es war, der auf die Idee kam, feiern zu gehen. Ich hatte mega Lust, musste aber morgen arbeiten. Das hielt mich nicht davon ab.
Er musste mich nicht mal richtig überreden. Ich war ewig nicht mehr tanzen gewesen und mir fehlte es.
Ich bezweifelte, das am Dienstag viel los sein würde, weshalb er noch ein paar Mädels von Tinder einladen wollte. Ich wusste nicht, ob das eine gute Idee war.
Ich:"Do you really think they're gonna be okay with that? I don't wanna hurt anybody's feelings."
Erst war er sich sicher, dass es für sie okay war. Zwei Mädels sagten auch direkt zu. Dann war er sich doch nicht mehr sicher und beschloss, dass wir beide alleine gehen würden.
Ich zog mich um, während er im Bad war. Ich schlüpfte gerade in meine Lederhose, als er wieder kam.
Er:"You're wearing THAT to the club?"
Ich:"Yeah, it's comfy and easy to dance with."
Er:"You look so good. Every guy is gonna approach you."
Ich suchte noch nach einem Oberteil. Ich hatte drei zur Auswahl. Das erste war ein enges, bauchfreies T-Shirt. Ich poste übertrieben vor ihm.
Er:"That's hot."
Ich:"I should wear a bra. Usually I wear a bra underneath."
Den BH hatte er mir vorher ausgezogen. Er überredete mich, keinen anzuziehen.
Betrunken wie ich war, stellte ich lediglich eine Bedingung:"But you have to protect me from weird guys."
Er war einverstanden.
Er wollte ein letztes Mal mein finales Outfit sehen.
Er:"Show me the back. Most important thing."
Betrunken drehte ich mich um und ließ meine Hüfte kreisen. Er zog mich zu sich und küsste mich.
Was war eigentlich los mit mir? Ich würde überall ohne BH hingehen - außer in den Club. Und selbst dann würde ich kein weißes, enges, durchsichtiges T-Shirt anziehen.
Wir tranken einen Wodkashot bevor wir gingen. Wobei es sogar mehr als ein Shot war.
An der U-Bahn diskutierten/stritten wir spielerisch. Er ging rückwärts, mir zu gewandt und lachte, während ich ihn spaßeshalber schubste. Hatte ich ihn plötzlich geküsst oder er mich? Jedenfalls küssten wir uns auf einmal. In der Öffentlichkeit. Wir küssen uns NIE in der Öffentlichkeit. Nicht einmal außerhalb der Action.
Die U-Bahn kam, er tat erst so, als würde er sich auf alle Sitze legen, so dass ich keinen Platz mehr hatte, dann zog er mich neben sich.
Ich kann mich nicht mehr wirklich an die Fahrt erinnern.
Als wir ausstiegen, ging ich zum Geldautomaten, weil ich kein Bargeld mehr hatte. Ich hob 20 € ab. Ich war so betrunken, ich brauchte definitiv keine Drinks mehr im Clubs, somit blieb nur noch Geld für den Eintritt und die Garderobe übrig.
Er fragte, ob ich nicht mehr Geld brauchte, was mich verwirrte. Wieviel gab er denn sonst in Clubs aus?
Meine Frage wurde beantwortet als er 100 € anhob. Was war los mit ihm?
Wir gingen in Richtung Club. Es war so scheiß kalt, deshalb liefen wir ein Stück. Bis die kalte Winterluft in meiner Lunge wehtat.
Im Club angekommen, gaben wir unsere Sachen an der Garderobe ab. Es war mehr los, als ich erwartet hatte. Natürlich war der Club nicht voll, aber 20 oder 30 Leute waren da. Vielleicht war ich aber auch betrunken und sah alles doppelt.
Wir fingen an zu tanzen und ich genoss es so sehr. Ich hatte es vermisst. Manchmal, wenn ich alleine tanzte, kam Pietro plötzlich her und küsste mich stürmisch. War das eine Art Reviermarkierung oder war ein gruseliger Typ auf dem Weg zu mir?
Wir machten rum und tanzten alles andere als jugendfrei.
Irgendwann fragte er mich, ob ich etwas trinken wollte. Ich sollte nicht, aber ich tat es trotzdem. Er bestellte zwei Bier. Hatte ich letztes Jahr nicht gelernt, dass man nie Wodka mit Bier mischen sollte?
Ich wollte ihm das Geld dafür geben, aber er lehnte ab. Ich versuchte es ihm zu zustecken aber er hielt mich davon ab.
Wir fingen wieder an ziemlich heiß zu tanzen.
Ich sah nur mich.
Ab und zu auch ihn, aber ich konzentriere mich auf das Gefühl, das mir die Musik gab.
Irgendwann gingen wir raus. Er fragte mich mit "Do you mind?", ob es okay für mich war, wenn er rauchte.
Ich glaube, er fragte andere nach einer Zigarette als uns ein Typ ansprach. Ich kann mich nicht mehr an vieles erinnern. Erst sagte er mir, dass ich eine richtig tolle Frau wäre. Dann fragte er Pietro etwas, der nachdenklich in die Ferne starrte und rauchte. Pietro schüttelte daraufhin den Kopf. Der Typ fragte ihn erneut was, was Pietro mit "Yeah" beantwortete. Darauf gab der Typ erst ihm ein High Five, dann mir. Wir redeten noch weiter mit dem Typ, aber davon weiß ich nichts mehr. Irgendwann war er weg. Pietro rauchte eine neue Zigarette. Oder war es eine neue Szene? Ich weiß es nicht mehr.
Plötzlich lief ein Lied, das ich mochte (keine Ahnung welches) und ich sagte:"Oh, I love this song!" Pietro schnippte seine fast ungerauchte Zigarette auf den Boden, nahm meine Hand und zog mich nach innen zurück auf die Tanzfläche. Wir tanzten erneut.
Irgendwann nahm er meine Hand und führte mich in einen VIP-Raum, der am Dienstag scheinbar nicht benutzt wurde und dementsprechend komplett leer war. Dieser Raum ist lediglich durch einen dicken Vorhang vom Rest getrennt. Er setzte sich auf die Sitzfläche an der Wand und zog mich auf seinen Schoß. Wir fingen an rumzumachen. Es war extrem intensiv. Sehr viel Augenkontakt, langsame Bewegungen. Im Nachhinein kann ich nur hoffen, dass in diesem Raum keine Überwachungskameras waren. Einmal kam sogar ein Typ rein, er sagte etwas zu uns und mir war es peinlich, dass wir erwischt wurden. Ich sah den Typ nicht, weil ich mit dem Rücken zu ihm stand und er auch gleich wieder weg war. Wir waren sofort zurück in unserer Sphäre.
Irgendwann beschlossen wir nach Hause zu gehen. An der Garderobe fand ich meine Nummer nicht mehr, aber glücklicherweise hatte ich zuvor ein Foto davon gemacht.
Wir zogen unsere Jacken an und gingen raus. Es war so scheiß kalt. Als ich das sagte, wickelte er mir seinen Schal um den Hals. Ich weiß nicht mehr, ob er meine Hand genommen hatte oder anders rum. Jedenfalls gingen wir Händchen haltend durch die eiskalten nächtlichen Straßen. Ich kann mich nicht an viel erinnern, außer, dass ich das Gefühl hatte, dass er sehr glücklich war. Er ist nach wie vor niemand, der viel lacht oder lächelt. Er ist eher ernst und nachdenklich unterwegs. Ich erinnere mich daran, einen Witz gemacht, gelacht und zu ihm hoch gesehen zu haben. Er wirkte sehr glücklich, als er den Kopf in den Nacken legte und lachte.
Der Weg war ziemlich lang, aber vielleicht kam es mir auch nur so lange vor, weil ich betrunken und mir so kalt war. Er bot mir seine Handschuhe an, aber ich lehnte dankend ab.
Er redete davon, dass wir nach Berlin fahren und dort in einen Club gehen müssten. Er hatte vielleicht mit gerechnet, dass ich nein sagen würde. Er wusste, dass ich Berlin nicht mochte. Aber ich sagte:"I would acutally do that."
Er:"Really?"
Ich:"Yeah."
Ich meinte es auch so. Berlin und ich waren nie miteinander warm geworden, aber was spricht gegen ein Abenteuer? Als ich das letzte Mal da war, hab ich viel durch gemacht, was meine Meinung über diese Stadt sicherlich mitgeprägt hat.
Als wir endlich an seiner Wohnung ankamen, wäre ich fast daran vorbeigelaufen.
Oben angekommen zog ich meine Jacke, meine Schuhe und seinen Schal aus. Er räumte kurz in seinem Zimmer rum, dann suchte er im Bad eine Zahnbürste für mich. Erst fand er keine, dann aber doch. Wir putzten Zähne, ich war so betrunken. Er hatte mir ein T-Shirt rausgelegt, das ich überzog.
Auf seinem Sitzkissen lag ein dunkelblauer BH. Ich fragte ihn, ob er für morgen einen Wecker stellen könnte. Er bat mich die Nachttischlampe auszumachen. Ich tat wie getan, danach schlief ich sofort ein.
Ich wurde davon wach, wie eine Plastikflasche knisterte. Kurz darauf bewegte sich das Bett, Pietro ging ins Bad. Ich schloss die Augen wieder. Er kam herein, setzte sich auf meine Seite des Bettes und weckte mich auf, indem er über meinen Rücken strich.
Er:"Hey. You need to wake up."
Ich grummelte und fragte verschlafen:"What time is it?"
Er:"Half past nine."
Betrunken, wie ich es noch war, dachte ich, er meinte halb neun.
Cool, dann kann ich ja noch ganz entspannt in meine Wohnung fahren, mich umziehen und meine Sachen packen.
Er sagte, dass er den Wecker um acht zwar gehört, aber
Er ging ins Bad, ich zog meine Klamotten an und sah auf mein Handy.
9.37 Uhr.
Fuck.
Um zehn sollte ich in der Arbeit sein.
Dank meines Pegels fand ich es eher lustig als besorgniserregend.
Wir verließen seine Wohnung, er ging nochmal zurück, weil er sein Handy vergessen hatte.
Danach gingen wir die morgendlichen Straßen entlang.
Er fragte nach meinem Job, ich sagte:"You sould join me" und hakte mich bei ihm unter. Er sagte, er würde vorbei kommen "to whisper dirty things in your ear".
An einem Bäcker machten wir Halt. Er nahm einen Espresso und ein Wasser, ich einen Laugenring und einen Cappuccino. Von den 100 €, die er vor wenigen Stunden abgehoben hatte, schien nichts mehr übrig zu sein, vielleicht hatte er sie auch verloren. Ich übernahm das zahlen und wir machten uns weiter auf den Weg. An der Kreuzung verabschiedeten wir uns mit zwei Küsschen auf die Wange, er musste zur U-Bahn, ich zur Arbeit. Mittlerweile war ich schon vier Minuten zu spät. Ich komme sonst immer mindestens 15 Minuten zu früh. Ich ging über die Kreuzung, machte Sprachnachrichten an Fabi und Toni und kam mit zehn Minuten Verspätung in der Arbeit an. Meine Chefin war glücklicherweise nicht da, dafür Lena. Sie sah mein Outfit und ich erzählte ihr von meinem Zustand. Wir redeten sehr ausführlich über ihren Ex, von dem sie einfach nicht los kommt, obwohl er einfach ein scheiß Kerl ist.
Sie fragte mich immer wieder, ob ich etwas brauchte, aber mir ging es gut, ich war nicht mal müde.
Produktivität sah natürlich anders aus, aber wenigstens war ich einigermaßen fit. Am Ende meiner Schicht merkte ich aber wie fertig ich war. Vielleicht verlor der Alkohol mittlerweile seine Wirkung. Nach einem längeren Gespräch mit Julia fuhr ich endlich heim. Ich wollte schlafen, aber alles drehte sich. Essen konnte ich auch nicht wirklich, also lag ich einfach nur da und ließ die vergangenen Stunden revue passieren.
Ich wurde melancholisch. "Cruel summer" beschrieb meine Gemütslage. Er wirkte so glücklich letzte Nacht und irgendwas löste das in mir aus. Warum hatte er mich so geküsst?  Wir hatten definitiv Grenzen überschritten. Es machte mich traurig. Wir würden nie funktionieren, zum Glück, aber mein Körper wollte, dass wir funktionierten und zog meinen Verstand mit in die scheiße rein.
Ich war verwirrt.
Mädels sind nur verwirrt, wenn sie wie eime Kategorie behandelt werden, aber in einer ganz anderen Kategorie sind.
Es gibt drei Kategorien: Freundin (Kumpel), Affäre/Freundschaft Plus und feste Freundin. Ich war verwirrt, weil er mich teilweise wie eine Freundin behandelte, obwohl ich ganz klar in die zweite Kategorie gehörte.
Ich wusste, dass ich mich zurückziehen musste. Ich sah die Sache zu emotional. Oxytocin wurde ausgeschüttet.
Zwei Tage später ging es mir besser. Ich sah das ganze wieder rational, aus der Sicht eines objektiven Beobachters. Es war ganz natürlich, dass mein Körper ihn wollte. Ich hatte keine einzige Regel beachtet.
Aber auch mein Verstand funktionierte wieder. Er war wirklich dreist. Er wollte mich verliebt in sich machen. Sonst würde er mich nicht so küssen, mich nicht so behandeln.
Und alle die sagen, dass er ja wirklich in mich verliebt sein könnte (wie Toni es anfangs vermutete): Nein. Wenn ich in jemanden verliebt bin, merkte ich mir, was derjenige sagt und stell nicht dieselben Fragen drei oder vier Mal. Ich erzähle nichts von anderen Mädels, von Tinder und lasse einen fremden BH offensichtlich in meinem Zimmer liegen.
Er wollte spielen. Dann lasst die Spiele beginnen.
Ich habe zwar anfangs nach seinem Schatten-Ich gefragt, aber es nie gegen ihn verwendet. Genauso wenig wie biologische Aspekte. Aber vielleicht sollte ich andere Seiten aufziehen.
Ich meine, er macht das wahrscheinlich mit ziemlich vielen Mädels und nicht jede hinterfragt es so rational.
Andererseits sollte ich mich vielleicht auch einfach auf mich konzentrieren und meine Energie nicht verschwenden. Einfach meinen Spaß haben, ohne in außer Gefecht zu setzen.
Ich hab mich Max geredet, der mir die Sache aus männerpsychologischer Sicht erklärte. Er war der Feind. Max hatte einige Monate in Italien gelebt und kann durch seine Beobachtungsfähigkeit die Mentalität italienischer Männer sehr gut einschätzen.
Fakt ist: Er versucht mich dazu zu bringen, Gefühle für ihn zu entwickeln. Was ich richtig dreist finde, da die Grenzen von Anfang an klar waren.
Wir werden sehen, wie es weiter geht. Er hat es auf jeden Fall geschafft mich zu verwirren.
Am Wochenende hat er gefragt, ob ich nach Berlin fahren wollte. Es wäre ein Abenteuer also warum nicht?
Wir planen gerade ein bisschen, aber ich versuche mich nicht zu sehr darauf einstellen. Er war zwar bisher immer zuverlässig, aber wer weiß was passiert. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht die ganze Zeit in willkürlichen Szenarien bezüglich Berlin zu verfallen. Gute wie schlechte. Ich muss auf alles vorbereitet sein.
Wir werden sehen. Er übernimmt gerade ein bisschen die Planung, was ich sehr männlich finde.
Heute geh ich mit ein paar Leuten wieder in eine Karaoke Bar. Neue Leute tun mir bestimmt gut.
Gestern Abend war ich bei Lene, was sehr schön war. Ich hab schon an ihren Nachrichten aus den Tagen zuvor gemerkt, dass sie jemanden zum Reden braucht. Normalerweise sind wir beide überhaupt nicht spontan, aber ausnahmsweise kamen wir auf einen Nenner. Ich hab so viel Liebe für sie übrig. Wir haben einfach eine Verbindung.
Nun ja, ich muss jetzt arbeiten.

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