Mittwoch, 13. November 2019
Listening to word of mouth about how you been out and about
Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll.
Vielleicht einfach mit dem gestrigen Tag.
Pietro und ich waren ursprünglich zum Spaghetti Carbonara machen verabredet.
Inzwischen war es Nachmittag und ich hatte nichts von ihm gehört, was mich ein wenig verunsicherte.
Hatte er es vergessen?
Immerhin hatten wir es vor über einer Woche ausgemacht und seitdem nicht mehr geschrieben.
Während es in meiner Vorlesung über wirtschaftliche Krisen ging, war ich mit den Gedanken bei der Frage, was ich machen würde, wenn er sich nicht meldete. Auch wenn ich wusste, dass es so vielleicht besser war, würde es meinem Ego nicht ganz so gut tun.
Normalerweise scheiß ich drauf. Er ist der Kerl, er muss sich melden. Mein Stolz ist zu groß, um einem Kerl hinterher zu laufen.
Allerdings hatte ich noch nie was mit jemandem, der so mein Typ war wie er. Und ich wollte ja einfach nur wissen, was Sache war. Ich hasse es, in der Schwebe zu sein.
Toni schrieb mir währenddessen, ob wir uns nach meiner Vorlesung und vor ihrer nächsten für eine halbe Stunde kurz treffen wollten. Ich sagte zu und erwähnte, dass ich einen Rat von ihr als Frau Selbstwertgefühl brauchen könnte.
Ich dachte an das, was Shallon in ihrem Podcast sagte. Anstatt so zu tun als wäre es uns egal und uns aber insgeheim zu fragen, was los ist, sollten wir einfach nachfragen, um Klarheit zu bekommen.
Also beschloss mehr oder weniger ihn einfach zu fragen, ob das heute Abend noch stehen würde.
Trotzdem wollte ich mir davor noch Tonis Meinung anhören.
Ein paar Minuten später sah ich auf mein Handy und siehe da: Eine Nachricht von Pietro, ob um neun bei ihm für mich okay wäre.
Ich musste ein Grinsen unterdrücken.
Die Vorlesung wurde überzogen, aber ich ging schon früher.
Ich ging nach draußen, setzte mich auf eine Bank vor der Uni und wartete auf Toni. Als sie kam, umarmte ich sie ganz fest. Es fehlt mir, sie nicht mehr jeden Tag in der Uni zu sehen.
Wir redeten ein wenig und sie fragte, ob alles okay wäre und wieso ich ihren Rat brauchte. Ich erzählte es ihr und sagte, dass es sich mit seiner Nachricht sowieso erledigt hatte.
Sie:“Aber ich glaube, ich hätte ihm nicht geschrieben.“
Ich:“Warum überrascht mich das nicht?“
Sie:“Was ist da eigentlich der neueste Stand?“
Ich erzählte ihr die Kurzfassung.
Sie:“Und denkst du, da wird was daraus?“
Ich:“Nein.“
Sie:“Wieso nicht?“
Ich:“Weil ich das beschließe.“
Sie sah mich an, als wäre ich verrückt geworden.
Sie:“Ich weiß nicht, ob man so was einfach beschließen kann...Hast du Gefühle für ihn?“
Ich:“Nein!“
Vermutlich sagte ich das ein wenig zu energisch, denn sie lachte und antwortete:“Woah, okay!“ :D
Ich:“Früher oder später werde ich es wahrscheinlich nicht verhindern können, weil mein Körper Oxytocin ausschüttet, aber ich muss soweit es geht rational bleiben.“
Sie:“Ach ja, diese Oxytocinausschütte machen mich auch immer totaaal fertig.
Aber woher weißt du, dass es nicht passt?“
Ich:“Es heißt doch immer, dass man es weiß, wenn man ‚den Richtigen‘ trifft und dass es einfach ist.“
Sie:“Und es ist nicht einfach?“
Ich:“Nein. Zum Beispiel die Sprachbarriere. Wir können uns zwar wirklich gut verständigen, aber egal wie gut ich jemals englisch spreche, es wird nie meine Muttersprache sein.“
Sie:“Kann er deutsch?“
Ich:“Nein. Und er weigert es sich auch es zu lernen. Da sind schon die einfachsten Grundvoraussetzungen nicht da.“
Sie:“Also besteht nicht die Möglichkeit, dass du nach Italien auswanderst?“
Ich:“Oh Gott, nein!“
Sie:“Was hält er denn von deinem Lieblingskönig?“
Ich:“Gute Frage, da muss ich ihn heute direkt mal ausquetschen.“
Wir redeten noch ein wenig weiter über die Uni, ihre Katze und was bei ihr gerade so los war. Auch wenn es nur für eine halbe Stunde war, war es schön sie mal wieder zu sehen.
Danach fuhr ich heim, aß ein bisschen was und machte mich, während ich „How to be Single“ zum fünften oder sechsten Mal anschaute, fertig. Ich war mir sehr unschlüssig darüber, was ich anziehen sollte. Ich wollte gerne einen Rock anziehen, gleichzeitig aber nicht zu overdressed sein. Noch dazu war er eher der mühelos coole und legere Typ. Also entschied ich mich letzten Endes für eine Jeans und ein terrakottafarbenes Oberteil, zog aber schöne Stiefel und einen Mantel an. Aus meinen Kopfhörern tönte Musik aus nicht meiner ganz so jugendfreien Playlist, als ich zur U-Bahn ging. An der Halstestelle ausgestiegen, schlenderte ich zu „Bubblegum“, „Too much“ und „Tequila does“ die Straßen entlang zu seiner Wohnung. Dieses Mal war ich ausnahmsweise pünktlich. Ich klingelte, der Summer ertönte und ich ging, während ich mein Handy und meine Kopfhörer in meiner Tasche verstaute, die Treppen hoch in den ersten Stock. Er wartete bereits an der Tür, gab mir zwei Küsschen zur Begrüßung als ich noch auf der letzten Treppenstufe stand und somit beinahe das Gleichgewicht verlor. Er ließ mich hinein, ich zog meine Schuhe und meinen Mantel aus und wir machten ein wenig Smalltalk. Ich war froh, dass ich mich gegen den Rock entschieden hatte, denn er trug lediglich Jeans und T-Shirt. Er fragte mich, ob ich wollte, dass er für mich kochte oder ob ich es auch lernen wollte. Natürlich wollte ich es auch lernen. Seine ganzen kulinarischen Geheimnisse.
Er schenkte uns Weißwein ein.
Wir redeten ein bisschen über unser Wochenende und die vergangene Woche, während er den Speck schnitt und ich die Eier trennte. Er erzählte, dass er am Donnerstag im Club war uns es am Freitag nicht in die Vorlesung geschafft hätte.
Ich sollte das Eigelb mit der Gabel verquirlen, während er immer noch mit dem Speck beschäftigt war.
Plötzlich hörte er auf, beobachtete mich belustigt und meinte:“You‘re cute.“
Als ich fragte, was ich denn falsch machen würde, kam er zu mir, nahm mir die Gabel aus der Hand und verrührte das Eigelb in kreisenden Bewegungen. Ich hatte Zickzack-Bewegungen gemacht, die scheinbar nicht richtig waren. :D
Dann hobelte ich Parmesan in das verquirlte Eigelb, während er den Speck anbriet und die Spaghetti ins Wasser tat, nachdem er zuvor gefragt hatte, ob ich wie ein Junge oder wie ein Mädchen essen würde. Da ich nicht ganz so flott im Hobeln war, nahm er mir diese Aufgabe ab und erkannte, dass es nicht an mir, sondern an der Hobel lag. Er schöpfte Wasser aus dem Topf mit den Spaghetti ab, goss sie ab und vermischte in der Pfanne mit dem Speck. Dann gab er abwechselnd das Eigelb und das Wasser hinzu, fügte Salz und Pfeffer hinzu und schon waren die Spaghetti Carbonara fertig. Ich dachte immer, das wäre viel komplizierter und geheimnisvoller.
Wir aßen und es schmeckte wirklich gut, auch wenn er sagte, dass das nicht seine besten Spaghetti Carbonara wären.
Ich:“I‘m so bad at putting the spaghetti on my fork, just ignore me.“
Er:“Don‘t look at me either, I eat like an animal.“
Er hatte nicht gelogen.
Da ich nicht so geübt darin war, Spaghetti in Hochgeschwindigkeit auf meine Gabel zu drehen, war er viel eher fertig als ich.
Er:“I‘m gonna put on some music while you‘re finishing. My favourite song. It describes my character.“
Ich wartete gespannt. Die ersten drei Takte ertönten und ich erkannte es sofort.
Der Spast hatte einfach „Figure me out“ angemacht. Das Lied traf mich da, wo mich sonst nur wenige Sachen treffen. Das hatte er ganz berechnend und mit Absicht gemacht.
Ich:“How do you still remember that song?“
Er:“It‘s my favourite song of all time.“
Ich:“Don‘t lie to me.“
Er:“Okay, it‘s fine.“
Ich:“I‘m telling you all the things that are none of your business whenever I‘m drunk.“
Das hätte ich ihm wirklich nicht erzählen sollen. Dieses Lied ist sehr persönlich. Ich antwortete viel zu ehrlich auf seine Fragen.
Mittlerweile hatte auch ich meine Portion Spaghetti aufgegessen. Er nahm den Rest und wollte ihn auf einem Teller in den Kühlschrank stellen. Die Alufolie fiel ihm aus der Hand und rollte sich ca. einen Meter auf. Anstatt sie wieder aufzurollen, wie jeder normale Mensch, riss er das Stück ab, gab es mir und sagte, ich solle mir ein Spiel damit überlegen. Ich rollte die Alufolie zu einer langen Wurst, während er den Teller im Kühlschrank verstaute.
Er:“So what‘s your game?“
Ich:“I hit you until you die.“ und ‚schlug‘ ihn ein paar Mal meine Alufolienpeitsche gegen den Oberarm.
Er:“Wait.“ Er nahm sie mir aus der Hand, bog sie und kam auf mich zu. Er stand vor mir und legte mir meine einstige Peitsche wie eine Kette um den Hals.
Er:“It‘s like a wedding ring.“
Ich verdrehte die Augen. Dann legte ich meinen wunderschönen Ehering ab und formte ihn zu einer Peitsche zurück. Er fand, dass das kein richtiges Spiel war und holte sich ein eigenes Stück Alufolie, aus der er einen Ball formte. Obwohl er jetzt sein eigenes Spielzeug hatte, wollte er trotzdem meine Peitsche und zog daran. Ich sah es überhaupt nicht ein nachzugeben, weshalb ich sie festhielt. Sie riss. Er hatte sie kaputt gemacht. Aus Rache machte ich seinen Ball kaputt. :D
Wir tranken immer mehr Wein und plötzlich redeten wir über Kinder.
Er:“So, how are we gonna name our children?“
Ich:“I already have some names.“
Er:“Yeah, me too.“
Ich:“Go ahead.“
Er:“So if it‘s a girl, I wanna name her Beatrice.“
Ich verzog mein Gesicht.
Ich:“No. It sounds good in italian, but I don‘t like the way Germans pronounce it.“
Er:“What about you?“
Ich sagte ihm den Jungennamen, den ich aus einem Shakespearestück hatte und wegen dem mich alle stets aufzogen. Ich fand ihn schön und melodisch.
Er:“That sounds like the name of a bad guy in Harry Potter.“
Ich:“It‘s not. What about your name for a boy?“
Er:“If I had a boy, I‘d name him Leonardo.“
Ich:“I can live with that.“
Er:“So we‘re moving to Italy?“
Ich:“No way! I‘m gonna stay here! Maybe we can switch it up.“
Er:“Okay, let‘s say we spend ten months in Italy and two here.“
Ich:“No, I‘m sorry.“
Er:“I‘ll build you a castle.“
Ich:“No, I wanna build it on my own.“
Er:“Brick by brick?“
Ich:“Yes.“
Er:“I can imagine you taking one brick and then telling me to do it.“
Wir tranken weiter Wein, redeten über Fußball und andere Dinge. Dann kam er wieder auf die Idee ein Spiel zu spielen. Wahrheit oder Pflicht. Ich willigte ein, obwohl ich nicht gut darin war, mir kreative Fragen auszudenken, was ich ihm auch sagte.
Wir fingen an zu spielen, natürlich nahm ich nur Wahrheit. Es wurde natürlich ein wenig sexuell.
Irgendwann nahm er Pflicht und ich befahl ihm zu tanzen. Er zierte sich ein wenig, aber ich gab nicht nach. Dann meinte er, er bräuchte dazu ein Mädel, um die typische Club-Situation zu simulieren. Gnädigerweise stellte ich mich zur Verfügung. Wir tanzten ein wenig, was ein bisschen komisch war ohne Musik, aber ziemlich lustig.
Danach beschloss er, dass wir ein neues Spiel spielen sollten. Zwei Wahrheiten, eine Lüge. Auch etwas wofür man viel Kreativität aufbringen muss, was mir angetrunken nicht so gut gelingt. Ihm dagegen umso mehr. Ich erfuhr ziemlich krasse und verrückte Geschichten über ihn und stellte fest, dass mein erster Eindruck von ihm gar nicht so falsch war. Er ist in der Tat sehr gefühlskalt.
Ich war ziemlich schlecht in dem Spiel. Er war dafür umso besser, was ich komisch fand. Normalerweise fällt es Leuten eher schwer mich einzuschätzen, aber er lag jedes Mal richtig. Vielleicht hatte er irgendwelche psychologischen Tricks auf Lager an was man eine Lüge erkennt und war noch nicht angetrunken genug, um sie nicht zu benutzen. Noch dazu waren die Dinge, die ich sagte, nicht überaus kreativ.
Was mir Bedenken gab, war die Tatsache, wie gut er lügen konnte. Das ist normalerweise meine Stärke, aber wiedereinmal antwortete ich viel zu ehrlich.
Nach ein paar Runden fingen wir an über Filme und Kunst zu reden. Er fragte nach meinem Lieblingsfilm und schlug vor, dass wir einen seiner Lieblingsfilme anschauen sollten. Nightmare. Ein Horrorfilm. Ich sagte ihm, wie ich zu Horrorfilmen stand – nämlich gar nicht. Er zeigte mir den Trailer.
Ich:“No, I can‘t watch that movie. I‘m gonna have nightmares.“
Er:“I will protect you tonight.“
Ich:“It‘s not about tonight, it‘s about every night that follows.“
Er:“I can be there too.“
Ich:“Of course you will.“
Ich ließ mich zu einem anderen Horrorfilm überreden. Scream. Wir gingen in sein Zimmer und machten es uns auf seinem Bett gemütlich. Er legte den Arm um mich und startete den Film auf dem Laptop, der sich auf seinem Schoß befand. Ich glaube, wir sahen ungefähr zehn Minuten von dem Film. Ich fand ihn nicht so schlimm, weil die Spannung nicht so extrem war, aber das viele Blut (auch wenn es nicht besonders gut gemacht war) war nicht so meins. Dann beschloss er, dass wir uns bettfertig machen sollten. Er ging ins Bad, gab mir eine neue Zahnbürste und ließ mich allein, nachdem er sich die Zähne geputzt hatte. Nachdem ich ebenfalls fertig war, ging ich in sein Zimmer. Er hatte mir ein T-Shirt zum Schlafen hingelegt. Ich zog mich um, schlüpfte in sein T-Shirt und legte mich neben ihn.
Er fing an über seine Professoren zu reden und bezeichnete sie als dumm und rassistisch, weil sie ihm nicht helfen würden.
Ich:“Maybe you should learn a little bit of german just to break the ice.“
Dann übersetzte ich ihm ein paar Sätze, die er brav wiederholte. Ich konnte nicht widerstehen. Ich bat ihn „Tschechisches Streichholzschächtelchen“ zu sagen. „Tschechisches“ kriegte er ganz gut hin, beim zweiten Wort stockte er.
Er:“That‘s impossible. You Germans put like five words into one.“
Ich:“Yeah, we wanna be exclusive.“
Er:“I hate you Germans.“ Dann beugte er sich über mich und küsste mich. Wir machten rum, es ging auch ein bisschen weiter als das, aber mehr ist nicht passiert. Er ist ziemlich ausdauernd.
Die Müdigkeit traf uns wie ein Schlag, mittlerweile war es ein Uhr.
Er ging nochmal ins Bad, ich lag alleine in der Dunkelheit und dachte:“Das ist es nicht.“
Gott gab mir genau das, was ich haben wollte. Einen sehr attraktiven Kerl, der optisch total, aber charakterlich überhaupt nicht mein Typ war.
Als er wieder kam lagen wir nebeneinander im Bett und diskutierten darüber, wer das Licht ausmachen würde. Ich bot an, dass wir unsere Kräfte entscheiden lassen sollten. Also machten wir Armdrücken. Er gewann natürlich, obwohl ich beide Hände benutzte. Als ich meine Niederlage auf einen schlechten Tag schob, hob er mich über sich und auf die andere Seite, wo die Nachttischlampe stand. Ich gab mich geschlagen, machte sie aus und kletterte wieder über ihn auf die andere Seite des Bettes.
Wir redeten noch ziemlich viel. Irgendwie kamen wir auf das Thema Glaube zu sprechen.
Er:“Do you believe in God?“
Ich:“Yes. I‘m religious.“
Er:“Really? Like praying and going to church?“
Ich:“I went to church yesterday.“
Ich dachte zurück an die Predigt der Kirche und wie ich danach zu meiner Musik durch eine der schönsten Straßen dieser Stadt schlenderte. Das hatte mir gut getan.
Er:“I don‘t know anybody of our generation who goes to the church when they don‘t have to.“
Ich:“Me neither.“
Er:“How often do you pray?“
Ich:“Every day.“
Er:“At what time? Before going to sleep?“
Ich:“Yes.“
Er:“What are you praying for?“
Ich:“That‘s very personal.“ Ich dachte darüber nach, was davon ich ihm erzählen wollte. Es waren nur Bruchstücke. Ich antwortete:“First of all I thank God. Then I‘m praying for everyone who means something to me. And for the world.“
Er nahm meine Hand und sagte:“Let‘s pray together.“
Ich entzog sie ihm wieder und antwortete:“No. Do you even believe in God?“
Er:“I don‘t know. I used to until I was twelve. I was always praying for the poor. Now I only believe in things I can prove. But I don‘t know. Do you also believe in hell and heaven?“
Ich:“Yeah, but it‘s kind of difficult. I was just thinking about it the other day: What makes someone a bad person? Is ist just one really bad decision? Or many small decisions? I‘m not sure about that.“
Wir unterhielten uns noch über die Bibel, verglichen das Alte Testament mit dem Neuen und analysierten verschiedene Stellen. Dann beschlossen wir schlafen zu gehen.
Um das ein wenig zu erklären: Sein Bett beinhaltet zwei Matratzen, die oft auseinander rutschen, sodass in der Mitte eine Mulde ist. Damit keiner von uns in dieser Mulde schlafen musste, lagen wir beide auf der linken Bettseite.
Ich schlief ganz gut. Ab und an wachte ich auf, weil er wieder im Schlaf redete. Das meiste davon war italienisch, so dass ich nichts verstand. Ich war einmal im Halbschlaf und ich dachte, er wäre wach, denn er fragte:“Is there some room left on your side? I don‘t wanna sleep in the hole.“
Ich bejahte es verschlafen und rutschte ein Stück. Als ich merkte, dass er nicht nachrückte, fragte ich, ob es so besser wäre. Er antwortete nicht und mir war klar, dass er nur wieder im Schlaf geredet hatte. Also schlief auch ich weiter.
Das Klingeln des Weckers riss mich aus einer Tiefschlafphase. Ich blieb noch ein bisschen liegen, während er schon ins Bad ging. Dann zog ich mich ebenfalls an. Er fragte, ob ich einen Tee wollte, ich nahm das Angebot an. Er ging in die Küche, während ich einen Abstecher ins Bad machte. Meine Haare waren ein kleines Chaos, aber ansonsten hätte es schlimmer sein können.
In der Küche tranken wir unseren Tee, der noch sehr heiß war.
Er:“Did you sleep well?“
Ich:“Yes. What about you?“
Er:“I slept very well.“
Ich:“You were talking again.“
Er:“What did I say?“
Ich:“Most of it was in italian, I didn‘t understand. But you said something about sleeping in the hole.“
Er lachte und antwortete:“I don‘t remember any of it. I should record myself one day.“
Wir redeten noch ein bisschen über seine Gerede im Schlaf. Dann überraschte er mich, als er mich fragte:“Were you praying for me last night?“
Ich:“No.“
Er:“I thought you‘d pray for everyone.“
Ich:“Okay, in this case you‘re right. Did you pray?“
Er:“Yeah, I prayed:‘Please God, let me speak in Italian when I‘m sleeping so she doesn‘t understand‘.“
Ich:“I bet you were saying mean things about me.“
Er:“We both will never know.“
Dann wurde die Zeit knapp, weil er gehen musste, um mit seinen Professoren zu reden. Wir gingen noch mal ein paar deutsche Sätze durch, dann zogen wir uns an und machten uns auf den Weg zur U-Bahn. Es war komisch, den Weg, den ich sonst immer Musik hörend und selbst-reflektierend alleine ging, mit ihm zu gehen. Es regnete, was meine Haare noch wundervoller aussehen ließ. Wir unterhielten uns aber ziemlich gut, ebenso wie beim Teetrinken hatten wir viel zu lachen. Als meine U-Bahn einfuhr, redeten wir gerade über ein Restaurant, in dem er mit seinen Eltern war. Er meinte, er würde mir weiter davon erzählen, wenn wir uns das nächste Mal sehen würden. Zwei Küsschen auf die Wange, dann stieg ich in meine U-Bahn. Ich drehte mich nicht mehr um und sah auch nicht aus dem Fenster. Ich machte „Bad as the boys“ an und reflektierte die letzten Stunden. Aus mentaler Sicht war ich an einem besseren Ort. Er ist wirklich heiß, wir unterhalten uns gut und lachen auch viel, aber im Endeffekt ist er nichts für mich. Vor ein paar Jahren hätte ich mich vielleicht in ihn verliebt, weil er das komplette Gegenteil von mir war. Mittlerweile will ich niemanden, der absolut anders ist als ich. Ich weiß, was ich will und ich will ihn nicht auf diese Art und Weise.
Ich fuhr nach Hause, zog mich um, frühstückte Nudelsalat und frischte mich ein wenig auf. Dann ging ich zur Arbeit. Nachmittags trank ich noch mit Max einen Kaffee. Ich erzählte ihm von der Situation gestern und auch er verstand es nicht wirklich. Außerdem ist er der Überzeugung, dass Pietro ein Arschloch ist. Damit mag er ziemlich richtig liegen.
Max begleitete mich noch bis zu dem Raum, in dem ich meine nächste Vorlesung hatte. Nach der Vorlesung arbeitete ich noch eine Stunde. Dann traf ich mich mit Joschua. Er hatte mir während meines Praktikums ein paar Mal geschrieben und gefragt, ob ich mit ihm Mittagessen gehen wollte, aber ich hatte nie Zeit. Als er mich letzte Woche wieder anschrieb, sagte ich zu. Dumm war nur, dass er nur abends konnte. Auch Max meinte davor schon, dass Abendessen gehen ein wenig datingmäßig wäre.
Ich ließ es einfach auf mich zukommen. Ich hörte „Daylight“ als ich durch die nächtliche Straße zu dem Brunnen ging, an dem wir uns trafen. Er war schon dort. Er umarmte mich zur Begrüßung, dann schlug er vor, ob wir italienisch essen gehen wollten. Was wäre denn datingmäßiger?
Beim Italiener angekommen erfuhr ich, dass er sogar reserviert hatte. Nicht schlecht.
Der Kellner führte uns zu einem Tisch im hinteren Bereich des Restaurants. Wir bestellten eine Flasche Wasser, eine Pizza für ihn und Spaghetti für mich.
Wir unterhielten uns wirklich gut. Auch wenn viele düstere Themen wie Selbstmord, Tod und seine bizarren Familiengeschichten dabei aufkamen. Joschua ist sehr intelligent. Er mag auf den ersten Blick unschuldig (aber gut trainiert) und ein wenig streberhaft wirken, aber er ist das komplette Gegenteil. Er hat Eier. Ich weiß nicht, wie ich das anders beschreiben soll, aber er ist ziemlich männlich und selbstbewusst. Vielleicht auch ein bisschen machohaft, derbe Witze inklusive. Was man auf den ersten Blick überhaupt nicht von ihm erwarten würde.
Wir redeten ziemlich viel und ich war froh, dass uns keine Sprachbarriere trennte. So war es viel einfacher.
Wir analysierten das Phänomen, warum Männer nicht mehr so männlich waren. Er hatte ziemlich interessante Ansichten. Er meinte, dass hänge mit Handys zusammen, dass sie nicht auf eigenen Beinen stehen müssen und selten aus ihrer Komfortzone herauskommen. So hatte ich das noch gar nicht gesehen, aber es klang überaus logisch.
Ich erfuhr, dass Joschua schon sehr früh auf eigenen Beinen stehen musste. Er war 26 und hat schon sehr viel erlebt. Er fordert sich selbst stets heraus. Das formt und stärkt einen Charakter.
Als wir aufgegessen hatten, fragte der Kellner, ob wir noch einen Nachtisch wollten. Joschua bestellte Windbeutel mit Mascarponefüllung und Schokoüberzug.
Der Kellner sah mich fragend an.
Ich:"Oh, für mich nichts, danke, ich bin voll."
Kellner:"Ah, ich bringe noch eine zweite Löffel."
Den Nachtisch teilen. Datingmäßiger geht's wohl nicht mehr.
Die Windbeutel kamen und Joschua sagte, ich solle sie wenigstens probieren. Sie schmeckten wirklich gut, aber ich schaffte gerade einmal einen halben. Joschua aß die restlichen dreieinhalb.
Mittlerweile waren wir drei Stunden in dem Restaurant und ich spürte, wie ich langsam aber sicher müde wurde. Joschua fragte nach der Rechnung. Ich holte meinen Geldbeutel heraus, in der vollsten Überzeugung, dass ich meinen Teil zahlen würde, weil Max mit zuvor damit aufgezogen hatte. Ich bin jemand, der selten Bargeld dabei hat und fast alles mit Karte zahlt. Ich fand meine fucking Karte nicht. Ich konnte es nicht glauben. Das war mir noch nie passiert. Ich versuchte nachzudenken, wann ich sie das letzte Mal benutzt hatte: Am Supermarkt an der Kasse. Ich war so bepackt gewesen, dass ich die Karte kurzerhand einfach in meine Jackentasche anstatt in meinen Geldbeutel steckte. Genau in die Jacke, die ich heute natürlich nicht anhatte. Ich konnte es nicht fassen. Mein Bargeld betrug sich auf stabile sieben Euro. Hitze stieg mir in die Wangen. Das Ganze war mir so unangenehm, auch wenn Joschua mir versicherte, dass ich mir keinen Stress machen sollte und ihm das auch schon öfter passiert wäre.
Genau das wollte ich vermeiden. Ich wollte nicht, dass er zahlte. Und erst recht nicht wollte ich, dass er denken könnte, das wäre ein Trick, um mich von ihm einladen zu lassen. Joschua ging zum Kellner und bezahlte, während ich immer noch versuchte, diese Peinlichkeit zu verarbeiten. Wie konnte ich nur meine Karte einfach in meine Jackentasche stecken?
Ich entschuldigte mich mehrmals bei ihm und versprach, ihm das Geld so schnell wie möglich zurückzuzahlen. Er nahm es total gelassen, versuchte mich zu beruhigen und erzählte mir von Situationen, in denen er seine Karte vergessen hatte.
Er schlug vor, noch etwas trinken zu gehen.
Eigentlich war ich ziemlich müde und hatte nicht so Lust darauf, aber er hatte gerade mein Essen bezahlt, deshalb wollte ich mich nicht direkt danach verabschieden.
Er trinkt keinen Alkohol und kannte sich dementsprechend nicht aus, was Bars anging.
Ich führte ihn zu der einen Bar, in der ich einmal mit Pietro war. Den Weg, den ich heute morgen mit Pietro gegangen war, ging ich nun abends mit Joschua.
Die Bar war schon ziemlich voll, weshalb wir in die gingen, in der ich meinen Geburtstag gefeiert hatte. Wir bestellten eine Flasche Wasser, die ich zahlte und unterhielten uns noch. Es war ganz nett, aber irgendwann war ich mental sehr ausgelaugt. Seine Witze waren auch nicht mehr ganz so lustig und sie wurden immer derber. Ich hab grundsätzlich nichts gegen solche Witze, mein Humor geht ziemlich weit. Aber es war ein langer und anstrengender Tag, ich hatte nicht ausreichend geschlafen und wollte am nächsten Tag früh raus. Wir gingen zur U-Bahn, mittlerweile war es nach zwölf.
Wir verabschiedeten uns mit einer Umarmung und ich war so froh, als ich in der U-Bahn war und die Menschen mit Hilfe von Musik ausblenden konnte. Noch froher war ich, als ich zu Hause war, Tee trank und mein Makeup, das ich nun 28 Stunden trug, abmachen konnte.
Es war halb zwei, als ich schließlich einschlief.
Heute Abend kommt Macy vorbei. Wir kochen, dann gehen wir noch auf eine Studentenparty. Das wird bestimmt lustig.

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